1935
2. Akt
Fortsetzung des Verrats
Aus einem Bericht Obermayers vom September 19351:
"Am 7. Februar [1935] erschien Gerum [Josef Gerum, Leiter der GESTAPO-Dienststelle in Würzburg] mit Völkel zur Vernehmung. Im Zimmer [...] liest Völkel in Gegenwart von 6 SS-Leuten [aus der Anklage] vor und zeigt Aktbilder [die offenbar bei der Wohnungsdurchsuchung gefunden wurden]. Ich verweigere jede Aussage und verlange, dem Richter überstellt zu werden. Gerum:
'Was, Gericht? Wir sind selbst Richter. Das fehlt noch, einem jüdischen Anwalt Geld zu verdienen geben! - Wie ich sehe, geht es Ihnen hier noch zu gut. Lebend kommen Sie aus Dachau doch nicht mehr heraus…' "2
"Am 20. Mai kam ein älterer SS-Führer, Abzeichen Eichenlaub. Ich sagte ihm, dass ich am 15. Mai in Gegenwart des Lagerkommandanten blutig geschlagen worden sei. Er meinte:
'Ja, man geht eben jetzt wegen §175 in Deutschland streng vor.' "3
Auf das Gerücht, eine ausländische Delegation würde das Konzentrationslager besichtigen, wollte Obermayer unbedingt auf sich aufmerksam machen.
"Ich suchte mich durch starkes Pochen an der Zellentür dem Oberführer Deubel bemerkbar zu machen. … Nutzlos! Nur Lang kam wütend und kündigte mir Hiebe an [...]. Lang drosselte mich am Hals, Dessloch zog dabei den Revolver um mich niederzuschiessen, wenn ich die geringste Miene gemacht hätte, Widerstand zu leisten. 'Du Hund musst verrecken, Du darfst nicht mehr lebend hier herauskommen', schrie Dessloch immer wieder!"4
Der schweizerische Gesandte in Berlin, Paul Dinichert, gelangte Anfang 1935 an Bern mit dem Vorschlag, eine Demarche zu verfassen. Der dortige Vorsteher der Abteilung für Auswärtiges, der als Nazi-Anpasser bekannte Hans Frölicher und ab 1938 Nachfolger Dinicherts in Berlin, lehnte den Vorschlag ab mit dem Hinweis "auf die Natur des Angeklagten". Bundesrat Giuseppe Motta informierte nun den Gesandten, dass
"angesichts der Leopold Obermayer zur Last gelegten sittlichen Verfehlungen [...] eine Intervention zu Gunsten dieses in moralischer wie auch politischer Hinsicht schwer kompromittierten Schweizerbürgers besser unterbleibt."
Im August 1935 schrieb Dinichert noch einmal nach Bern, dass ein Schweizer völkerrechtlich nicht in Schutzhaft genommen und schon gar nicht in ein Konzentrationslager eingewiesen und ohne Zugang zu einem Gericht festgehalten werden dürfe, das sei grausam. Mottas Antwort:
"Bekanntlich sind die Verfehlungen Obermayers derart, dass [...] die Bekundung eines allzu grossen Interesses für den Fall den allgemeinen schweizerischen Interessen kaum förderlich sein kann"
und eine Woche später: man dürfe den deutschen Behörden keinen Vorwand liefern,
"unbequeme Schweizer aus nichtigen Vorwänden oder auf blosse Denunziation hin auszuweisen",
denn bei diesen handle es sich vielfach um Leute,
"deren Anwesenheit in der Schweiz höchst unerwünscht wäre."
Ernst Ostertag, September 2006
Quellenverweise
- 1
Bericht Obermayers vom September 1935, heute im Staatsarchiv Würzburg.
- 2
Angaben von Wikipedia
- 3
Albert Knoll: Totgeschlagen - totgeschwiegen, Die homosexuellen Häftlinge im KZ Dachau, Seite 29, Serie "Splitter", Nr. 4, Forum Homosexualität und Geschichte, München, 2000; Zitate ohne Vermerk stammen aus: Laurenz Müller, Aufhaltsam dem Tod entgegen, in Weltwoche, 8. August 2001.
- 4
Albert Knoll: Seite 29.