1949

Weiterverfolgung

Die Homosexuellen-Zeitschrift Der Kreis berichtet

Ende Februar 1949 erreichte der Brief eines gewissen François de B. aus Brüssel die Redaktion des Kreis. Darin berichtete der Belgier von einem deutschen Arzt, einem ehemaligen KZ-Häftling, der wegen seiner Homosexualität ins KZ gekommen sei. Skandalöserweise hätten nun offizielle Stellen von diesem Opfer des Naziterrors eine Nachzahlung der Kosten für seine KZ-Aufenthalte verlangt. Der Brief wurde in der Märznummer veröffentlicht (3/1949, Seite 23):

"Ich bin Belgier, komme als Journalist oft nach Deutschland. Ich war im Kriege in verschiedenen deutschen KZs. Manchmal sehe ich meine ehemaligen Kameraden wieder. Auch da gibt es eine internationale Solidarität. [...]

Im KZ Neuengamme lernte ich einen Deutschen [...] Arzt kennen. Er hatte folgendes Schicksal: 1936 war er in seiner westfälischen Heimatstadt mit 300 anderen [Homosexuellen] im Verlauf einer Sonderaktion verhaftet worden. Man konnte ihm eine Reihe 'Fälle' nachweisen, wie man das wohl jedem von uns gegenüber tun könnte. [...] Nach seiner Entlassung [2 Jahre und 3 Monate Zuchthaus] wurde er nach einem guten Jahr wieder verhaftet, weil er mit seinem Freund zusammenwohnte. Nachdem er übel von der Gestapo geschlagen worden war - es war Sommer 1940 - gab er den 'Fall' zu. Aber man wollte ihn und andere absolut vernichten. Er wurde halbtot gepeitscht und gab danach 6 weitere 'Fälle' zu, die überhaupt nicht existierten, nur, um seine Ruhe zu haben. Die Verurteilung lautete diesmal auf 3 Jahre Zuchthaus und anschliessend lebenslängliche Sicherheitsverwahrung. [...] Nach schwerster Zwangsarbeit in verschiedenen KZs war er bei Kriegsende, erst 40 Jahre alt, ein Wrack.

Eine Arztkollegin nahm ihn auf und päppelte ihn hoch. [...] Das 'demokratische' Deutschland registrierte ihn als Homoeroten, nicht als 'Opfer des Faschismus', sondern als Verbrecher. Und was die Nazis nicht taten, das tat das neue Deutschland. Er bekam seine staatliche Prüfung [Arztdiplom] aberkannt, was einem Arbeitsverbot gleichkam. Sein Anwalt versuchte, dass die Zuchthausstrafe nachträglich wenigstens in Gefängnisstrafe umgewandelt würde, denn so hätte er seine bürgerlichen Ehrenrechte und bekäme die Zulassung wieder. Abgelehnt! Und damit nicht genug: Im letzten Jahr [1948] musste er für das Zuchthaus von 1936-1939 noch 350 Mark Verpflegungskosten nachzahlen. Er tat es wieder nur, um seine Ruhe zu haben. Vorletzte Woche aber erschien die Polizei erneut bei ihm, erkundigte sich nach seinen Einnahmen aus Hilfsarbeit - um ihm jetzt, 1949, die Kosten für die KZ-Aufenthalte nachzahlen zu lassen: 1.50 DM pro Tag!! Homoeroten hätten das zu tun. Bei politisch Verfolgten oder 'echten Verbrechern' läge die Sache anders! Mein Freund antwortete: 'Ich zahle nichts oder gehe lebenslänglich ins Zuchthaus bzw. ins KZ.'

Ich habe den völlig gebrochenen Mann gesehen, auch seine Papiere. Alles, was ich schreibe, ist keine Erfindung, sondern zum Himmel schreiende Tatsache. [...] - Verzeihen Sie, dass ich Ihre Zeit so lange in Anspruch nehme, es geht aber nicht um einen ehemaligen KZ-Kameraden allein, es geht uns alle an, uns alle, jawohl!"

Unter den Kreis-Abonnenten wurde eine Sammlung veranstaltet und das Geld durch einen belgischen Abonnenten zusammen mit François de B. dem betroffenen deutschen Arzt überreicht. Der oben zitierte Brief erschien über Vermittlung des bekannten Emigranten und Kreis-Abonnenten Kurt Hiller, London, auch in deutschen Zeitungen, was schliesslich zu einer Aufhebung der Aberkennung der staatlichen Arztprüfung führte.

In Januar 19511 veröffentlichte der Kreis den Brief eines anderen (ungenannten) Deutschen, der unter den Nazis in den Lagern fast zu Tode kam, von US Truppen gerettet, dann aber in der neuen BRD wieder ins Gefängnis geworfen und schliesslich - seiner geschwächten Gesundheit wegen - zum Aufenthalt in einer Irrenanstalt "begnadigt" wurde.

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Ernst Ostertag, Mai 2008

Weiterführende Links intern

Kurt Hiller, Vier deutsche Autoren

Quellenverweise
1

Der Kreis, Nr. 1/1951, Seite 3