Hoffnungsschimmer

... aus dem prüden England

Selbst in der Insel-Situation unseres Landes versuchte die Redaktion immer wieder auf Entwicklungen und Publikationen ausserhalb hinzuweisen. Das von totalitären Kräften besetzte und mit Krieg überzogene Kontinentaleuropa war stumm gemacht. Alle Hoffnung für Sieg und Frieden lag auf Grossbritannien und seinen Verbündeten.

So konnte nun, Ende 1943, als sich die Fronten von Afrika nach Mittelitalien verlegt hatten und in Russland Richtung Deutschland bewegten, eine Zukunftshoffnung auch für unsere Sache wie eine kleine Weihnachtskerze entzündet werden. Der renommierte, aber stets unerkannte Abonnent "yx" brachte in der Dezembernummer einen bemerkenswerten Artikel unter dem Titel "Das Urteil des Auslandes" 1:

"Die englische Presse vermeidet im allgemeinen Erörterungen über Sexualprobleme. Umso beachtenswerter ist es, dass [...] der linksradikale [...] 'New Statesman' in der Korrespondenzspalte eine lebhafte Diskussion über die Lage der Homosexuellen in England durchführen liess. [...] Mehrere Ärzte schrieben [...], dass bei jedem Homosexuellen eine 'Heilung' versucht werden müsse. Einige dieser Ärzte äusserten sich auch zur strafrechtlichen Seite des Problems, wobei festzustellen ist, dass kein einziger für die Beibehaltung der geltenden Strafbestimmungen eintritt. [...] Eine einzige veröffentlichte Zuschrift [...] lässt auf wirkliche Kenntnis der Sachlage schliessen. Sie weist darauf hin, dass [...] die meisten Homosexuellen in ihrem äusseren Habitus und in ihrem Auftreten von normalen Leuten nicht zu unterscheiden seien: 'Der Homosexuelle empfindet die Einstellung des Gesetzes und der Öffentlichkeit sehr bitter. Er weiss, dass er nichts für seine Naturanlage kann, so wenig, wie wenn er blind oder taub geboren wäre, er weiss aber auch, dass er viel mehr Schicksalsgenossen hat als der Blinde oder Taube. Er möchte nur, dass man ihn ebenso duldsam und entgegenkommend behandelt wie jene. Stattdessen wird er verfolgt und verlacht und das bringt bei ihm nur zu oft die Merkmale hervor, die eine verhasste und verachtete Minderheit kennzeichnen. Das ist umso bedauerlicher, als der Homosexuelle sehr oft eine ungewöhnlich anständige und intelligente Person ist, die sich am allerwenigsten ein wirkliches Verbrechen zu schulden kommen liesse.'

Dass etwas derartiges in England gedruckt werden kann, ist ein in hohem Grade bemerkenswerter Fortschritt."

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Ernst Ostertag, November 2004

Weiterführende Links intern

Walther Weibel / "yx"

Quellenverweise
1

Der Kreis, 12/1943, Seite 20