1950

"Chant d'amour"

... d’un poète maudit

Der französische Teil des Kreis eröffnete bereits 19501 die Kontroverse über das "Phänomen Genet". Dies mit den Betrachtungen von Yves-Claude Reignoux zum eben herausgekommenen 25 Minuten-Film "Chant d'amour", den Jean Genet aus seinem gleichnamigen Gedicht entwickelt hatte.

Der Film handelt von zwei sich liebenden Männern, beide in der Gefängniszelle von einer Mauer getrennt, durch deren Fuge sie einen Strohhalm stecken, um sich gegenseitig Zigarettenrauch zuzublasen und den Atem des anderen wahrzunehmen. Damit erleben sie Nähe, evozieren Erinnerungen, die sich in Imaginationen steigern und Träume werden von Ausbruch in völlige Freiheit, von heissen Umarmungen im Dickicht eines Waldes. Doch der Wärter mit seiner Pistole hat die Macht. Er beobachtet seine Gefangenen durch das Guckloch, wird Teil der fibrierenden Erotik. Nur, er steckt in seinem Dienst, seiner Uniform gefangen. Was ihm bleibt ist Hass und voyeuristische Selbstbefriedigung.  

Yves-Claude Reignoux:

"[...] Je ne sais si toute cette magie était sensible à qui, sans l'assistance, n'avait pas ce culte de l'amour homosexuel. Il faut pourtant le croire puisque, la bande terminée, un long silence régna. On sentait que l'impression était forte, la surprise complète pour certains. Sont-ce mes idées qui me firent trouver que rien n'avait pu choquer, puisque rien ne m'avait semblé vulgaire? Cette force de l'érotisme contenue dans chaque geste, soutenue dans chaque regard, apparaissait comme essentiellement légitime. [...]"

Das war Gültiges - erstmals über diesen Dichter in der Schweiz - und galt uneingeschränkt auch für alle übrigen Werke des grossen poète maudit.

Ernst Ostertag, April 2005

Quellenverweise
1

Der Kreis, Nr. 12/1950, S.25