1953
Anfrage aus Lausanne
Via Bundesanwaltschaft Bern an die Kantonalpolizei Zürich
Die Akten zu diesem Fall von Observation liegen im Staatsarchiv des Kantons Zürich. Sie machen deutlich sichtbar, dass die "prüden" Verhaltensregeln und das strenge Einhalten der gesetzlichen Vorschriften durch den KREIS (keine Minderjährigen, keine Stricher, keinerlei "Pornografie" in Wort und Bild) absolut nötig waren für seinen Fortbestand und die Sicherheit der Abonnenten. Aus den Akten:
Mit einem Schreiben aus "Lausanne, 23 mars 1953" richtete sich Pierre Chavan (1902-1996), Staatsanwalt (Procureur Général), des Kantons Waadt von 1951-1964, an die Schweizerische Bundesanwaltschaft in Bern (Ministère Public Fédéral) mit dem Betreff "délit de débauche contre nature (art.194 CP) et de la propagande homosexuelle" (Unzucht wider die Natur gemäss Art.194 StGB und homosexuelle Propaganda).
Indem er sich einleitend auf sechs einschlägige Urteilssprüche in der Schweiz im Zeitraum von 1944 bis 1950 bezog, erwähnte er ein Kreis-Heft, in dem solche Prozesse gegen die Sittlichkeit (procès de moeurs) angeführt und die Einmischung der Polizei kritisiert werde.
"Ils vont jusqu'à critiquer les interventions de la police dans ce domaine [...]. Ils donnent des conseils [...]" (sie geben Ratschläge, wie Verstösse gegen die geltenden Gesetze zu vermeiden seien)
Der Staatsanwalt schloss, die zuständigen Behörden des Kantons Zürich, wo das Heft herausgegeben werde, dürften solche Publikationen nicht indifferent lassen.
Vermutlich war dieses Heft durch eine Indiskretion (eventuell nach dem Tod eines Abonnenten) der waadtländischen Staatsanwaltschaft zugespielt worden. Die Bundesanwaltschaft reagierte rasch. Sie sandte am 31. März ein Schreiben an den Zürcher Regierungsrat Walter König (LdU, Polizei- und Militärdirektion) und bat diesen um Erkundigungen über den KREIS und dessen Publikation. Die Bundesanwaltschaft begann mit den Worten:
"In unserer Eigenschaft als Zentralstelle zur Bekämpfung der Verbreitung unsittlicher und unzüchtiger Veröffentlichungen [...]"
Auch eine Kopie des Briefes aus Lausanne war beigelegt.
Bereits am nächsten Tag, 1. April 1953, schrieb die Direktion der Zürcher Kantonspolizei an den "Spezialdienst, Polizeikorps des Kantons Zürich" und stellte, unter Weiterleitung der Schreiben aus Bern und Lausanne, fünf Fragen zum KREIS:
- Was ist der Polizei über diese Gruppierung bekannt?
- Wer sind die Herausgeber der Zeitschrift?
- Können einige Ausgaben des Heftes geliefert werden?
- Gab es schon einmal Schritte gegen einzelne Ausgaben, gegen die Gruppierung?
- Wer ist der Inhaber des Postfaches 547, Fraumünsterpost?
Zum Schluss hiess es:
"Wir ersuchen Sie, die Erhebungen diskret vornehmen zu lassen, um eine allfällige Aktion der Bundesanwaltschaft nicht zu erschweren."
Ernst Ostertag, Juni 2008