Gefahr: Eigendynamik
1961, nach einem neuen Mord im Homosexuellen-Milieu, meldete sich niemand mehr zur fahndungsbezogenen Mitarbeit, obschon die Behörden deswegen wieder an den KREIS gelangten. In ihren ergebnislosen Aufklärungsbemühungen fand die Polizei nun den plausiblen Grund zur Weiterführung und Perfektionierung einer extensiven Fahndung nach Opfern für das Register. Und das wurde für Jahre zur meist nicht mehr in der Presse kommentierten Routineangelegenheit.
Die Polizeiorgane beschränkten sich bei diesen Razzien nicht nur auf einschlägige Treffpunkte wie Kaffeehäuser, Bars und Bedürfnisanstalten. Sie nahmen sich zudem immer wieder städtische Parkanlagen vor, indem sie diese überfallmässig von mehreren Seiten kommend durchkämmten. Aufgegriffene, "auffällige" Personen führten oder drängten die Uniformierten in bereitstehende Kastenwagen und fuhren sie auf die Wache.
Die Polizei machte überdies auch Jagd in den Wäldern rund um die Allmend Brunau und bis zum Albisgüetli hinauf, wobei sie sogar Hunde einsetzte. Denn jene Waldpartien sind zunehmend von diversen friedlichen Spaziergängern und "Nachtschwärmern" aufgesucht worden - als Ersatz für die razzienverseuchten Parkanlagen.
Es ist klar, dass auf solche Weise auch Unbescholtene ins Homoregister kamen: Leute, denen keinerlei Verstoss gegen irgendein Gesetz oder eine Verordnung nachgewiesen werden konnte.
Den wohl ziemlich gesetzlosen Raum, in dem sich die Polizei damals bewegte, schilderten später verschiedene Zeugen in schwulen Publikationen wie hey oder in Interviews und auf Tonträgern. Auch Tageszeitungen wie NZZ, Volksrecht und andere kritisierten mehrfach diese übertriebenen Methoden der Ordnungskräfte.
Mit dem Ausbruch der "Globus-Krawalle" am 29. Juni 1968 löste sich die Polizei von ihrem Fixiert-Sein auf unsere Minderheit. Sie hatte nun anderes zu tun. Eine neue Zeit bahnte sich an, unmissverständlich.
Ernst Ostertag, September 2005