Leserbriefe

Zwei unterstützende Stellungnahmen für Oboussier in der NZZ und in der National-Zeitung zum tragischen Ende eines Menschen, dessen Persönlichkeit die sensationslüsterne Berichterstattung der Presse und die damit verbundene Entehrung in keiner Weise gerecht wurde.

Der Kreis zitierte vollumfänglich die Zuschrift von Bettina Hürlimann, welche in der NZZ vom 23. März 1958 zu lesen war. Bettina Hürlimann (1909-1983) war die Gattin von Martin Hürlimann (Atlantis Verlag) und die Tochter des deutschen Verlegerpaares Gustav und Irmgard Kiepenheuer. Martin Hürlimann brachte 1969 das Buch mit Aufsätzen und Kritiken von Oboussier heraus: Berliner Musik-Chronik 1930-1938. In seiner Zeitschrift setzte Karl Meier / Rolf den Brief von Bettina Hürlimann unter den Titel "Ein letztes Wort, ein vorbildliches Wort, ein notwendiges Wort: Zum Fall Oboussier":1

"[...] Ich finde es ausserordentlich beschämend für unsere ganze Gesellschaft, wenn das Gedächtnis eines aus vielen Gründen ehrenwerten und von vielen verehrten Menschen im Gedächtnis der Menschen als der skandalöse Gegenstand eines Mordprozesses herumgetragen wird; eines Mordprozesses, auf dessen erste Episode beinahe der Satz hätte angewendet werden können, dass nicht der Mörder, sondern der Ermordete der Schuldige sei… Ein Ermordeter kann sich keinen Rechtsanwalt mehr leisten, die Aussage über die Vorfälle jener Nacht sind nur aus den Erzählungen dieses verkommenen Burschen bekannt, die man zuerst für bare Münze genommen hat.

Jeder aber, der Robert Oboussier gekannt hat, hatte wohl seine Zweifel. Und für jeden von ihnen muss es entsetzlich sein, den Namen dieses Mannes [...] zum pädagogischen Exempel herabsinken zu sehen, an dem unser Zeitungsleserpublikum [...] über Strichjungenprobleme, falsche Erziehungsmethoden von gefährdeten Jugendlichen usw. unterrichtet wird. [...]

Ich hatte Mühe, mir nach all diesen Beschreibungen die hohe aristokratische Gestalt Oboussiers noch vorzustellen. Ich bin ziemlich sicher, dass Oboussier versucht hat, den Jungen zu bewegen, sich der Polizei zu stellen, denn er hatte ein äusserst starkes Rechtsempfinden.

Dass unziemliche Anforderung diesen hartgesottenen Strichjungen zum Mord zwangen oder dass er, selbst wenn solche vorlagen, nicht andere Möglichkeiten gehabt hätte, sich zu wehren, das scheint mir ganz unsinnig, und es wäre auch den Richtern unsinnig erschienen, wenn sie den Ermordeten gekannt hätten.

In Konzertsälen des Auslandes haben sich ganze Auditorien und Orchester zu Ehren Robert Oboussiers zu einer Minute des Schweigens erhoben. Das Schicksal seiner anormalen Veranlagung teilt er mit ungezählten hohen Geistern aus unserem kulturellen Leben in Vergangenheit und Gegenwart. Er musste dies mit dem Leben bezahlen.

Ich kann es nicht beurteilen, ob eine so ausführliche Berichterstattung über einen solch heiklen Fall nötig ist. [...] Aber ich spreche sicher vielen Menschen aus dem Herzen, wenn ich meinen Brief mit dem Wunsch schliesse, dass es an der Zeit wäre, das Bild dieses hervorragenden Menschen wieder an den Platz zu hängen, an den es gehört. [...]"

Die Basler National-Zeitung (ab 1977 Basler Zeitung, BAZ) vom 1. April 1958 veröffentlichte den Leserbrief eines W.H. aus Luzern mit der Überschrift "Das wahre Motiv?":

"Im Prozess gegen den Mörder [...] war viel von einer Drohung seitens des Ermordeten, Siegfried der Polizei zu übergeben, die Rede. [...] Ich kannte Oboussier aus unserer gemeinsamen Berliner Zeit als einen äusserst vornehmen Charakter. [...] Dieses Motiv [der Drohung] dürfte vom Mörder vorgeschützt, erlogen sein.

Ein Mann wie Robert Oboussier war völlig unfähig, erpresserisch auf seinen Partner einwirken zu wollen. Die Annahme, er könnte es zumindest versucht haben, fälscht in meinen Augen das Bild des Ermordeten. [...] Das erinnert mich an die berühmte Novelle von Franz Werfel: 'Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig!' [...]"

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Ernst Ostertag, September 2005

Quellenverweise
1

Der Kreis, Nr. 4/1958, Seite 4