1960

Bemerkenswert

... ein Artikel der Solothurner Zeitung, im Kreis zitiert

In derselben Ausgabe des Kreis wurde ein Aufsatz aus der Solothurner Zeitung vollumfänglich übernommen.1 Daraus einige Passagen:2 

"Bürger A. und Bürger B. unternehmen in einer Zürcher Parkanlage ihren abendlichen Verdauungsspaziergang. Da erscheint die Polizei in Zivil: 'Ausweise bitte!' Während Bürger A. verhältnismässig ruhig bleibt und nach einem Schriftstück sucht, mit dem er sich legitimieren kann, gerät Bürger B. [...] in Aufregung. Ein Wort gibt das andere und trotz Intervention von Bürger A. wird B. in ein Polizeifahrzeug verfrachtet.

Auf der Wache befragt man ihn nach einem bestimmten Schema über seine Veranlagung, um schliesslich festzustellen, dass es sich um einen komplett normalen Menschen, durchaus glücklich verheiratet und Vater zweier Kinder handelt. Kommissär und Polizeiarzt geben eine entschuldigende Erklärung ab, worauf er aus dem Gewahrsam entlassen wird. Das könnte auch Ihnen passieren! [...]

Es geht [...] darum, dass man Bürger polizeilich anhält - nicht einen einzelnen [...] und nicht einen verdächtigen, sondern eine Vielzahl von Leute, bloss weil sie sich an einem bestimmten Ort aufhalten - dass man sie nicht nur anhält und ihre Identität abklärt, sondern mitnimmt, um sie peinlichen Verhören zu unterziehen. [...]

Die provisorische polizeiliche Festnahme [...] beraubt den Bürger vorübergehend seiner Freiheit und setzt ihn [...] der 'Registrierung' aus. Hier beginnt die Sache unsympathisch zu werden.

[...] Die widernatürliche Veranlagung ist so alt wie die Menschheit selbst und weder strafbar noch hinreichende Begründung für administrative Massnahmen wie die Anlage polizeilicher Register. [...]

Wir sind überzeugt, dass ungleich mehr sittliche Verfehlungen von 'normal' veranlagten Männern an minderjährigen Mädchen, als von Homosexuellen an gleichgeschlechtlichen Jugendlichen begangen werden. Nur, weil der letztgenannte Fall dann und wann eintritt, gegen die Gesamtheit der Homosexuellen polizeiliche Grossaktionen durchzuführen und Karteien anzulegen, führt in einem Rechtsstaat zu weit. [...]"

Ernst Ostertag, Oktober 2005

Quellenverweise
1

Der Kreis, Nr. 12/1960, Seite 19 und 20

2

Solothurner Zeitung, 23. November 1960