1961

Gesellschaftskritik

... eine Lesbierin und Karl Meier / Rolf äussern sich im Kreis

Im März-Heft 1961 kam Frau "EW" zu Wort und der Kreis setzte dazu den vielsagenden Titel

"Eine Lesbierin nimmt Stellung, von den Tageszeitungen nicht angenommen":1 

"Es ist zwischen Homoerotik und Strichjungenwesen ein Strich zu ziehen, genau derselbe, wie bei normal gerichteter Liebe und Dirnenunwesen!

Wenn im Milieu etwas passiert, wird wohl kaum jemand auf die Idee kommen, Sexualität an sich zu verdammen. [...] Homoeroten [...] sind nicht zu ihrem Vergnügen oder aus lasterhafter Lust der Liebe zum gleichen Geschlecht ergeben, sondern weil sie nun einmal biologisch so geartet sind. [...] Es ist beschämend, dass so viele Jahre nach Dr. Freud die Allgemeinheit über dieses brennende Problem nicht besser und vor allem nicht objektiver orientiert ist. [...]

Saubere Verhältnisse werden erst dann geschaffen, wenn man bereit ist, einzusehen, dass ein Mensch charakterlich gut oder schlecht, anständig oder ausschweifend ist, gleichgültig, wo und wie er Eros sieht und erlebt. Mit Totschweigen ist es nicht getan; es braucht Mut zur Wahrheit und Wille zum Recht."

Im selben Heft äusserte sich Karl Meier / Rolf zu den "Ergebnissen der Polizei-Aktionen":2

"[...] Die Strichjungenfrage. [...] Zwei (!) Schweizer konnten der Bezirksanwaltschaft wegen bewiesener gewerbsmässiger Unzucht zugeführt, vier Ausländer deswegen des Landes verwiesen werden, also bei 595 kontrollierten Personen deren sechs. [...]

Die Doppelspurigkeit hinsichtlich männlicher und weiblicher Prostitution, wie sie in unserem Strafrecht verankert ist, macht sich also strafrechtlich 'nicht ganz bezahlt', wie es Prof. Dr. Ernst Hafter schon 1929 und 1931 vorausgesehen hat, als er auch für die Straflosigkeit der einfachen männlichen Prostitution plädierte. [...] Es steht eben merkwürdigerweise für die Öffentlichkeit die sich prostituierende Frau von je her in einem ganz anderen Licht als der sich prostituierende Mann. Man denke nur an die grossen Dirnen-Romane der Weltliteratur oder an die entsprechenden Opern des Musiktheaters. [...]

Die Geschlechtskrankheiten. Dass durch die Aktionen 17 Geschlechtskranke erfasst werden konnten, buchen auch wir als Erfolg. Wer geschlechtskrank ist [...] und sich nicht freiwillig zum Arzt begibt, begeht eine Gedankenlosigkeit, die einem Verbrechen nahe kommt. [...] Krank kann auch der Abstinente werden, wie es Fälle von extra-genitaler Ansteckung beweisen; krank werden ist [...] keine Schande, vor allem nicht vor dem Arzt. [...]"

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Ernst Ostertag, Oktober 2005

Weiterführende Links intern

E.W. - eine Lesbierin

Quellenverweise
1

Der Kreis, Nr. 3/1961, Seite 20

2

Der Kreis, Nr. 3/1961, Seite 18 und 19