1962
Echo im Kreis
... Resignation
In Karl Meier / Rolfs Rundblick "Das dreissigste Jahr unserer Zeitschrift" klang vieles bitter:1
"[...] Wir betrachten es als grosses Glück, dass wenigstens die Kameraden in Basel sich noch regelmässig und unbehindert treffen können. [...]
Unsere Vereinigung trifft [...] keine Schuld. Das haben uns die massgebenden Instanzen immer wieder versichert. [...] Nicht wir haben die Diskretion durchbrochen, sondern [...] Berichterstatter, die bei Verbrechen und Razzien alles in den gleichen Topf werfen: Mörder, Strichjungen und die Homosexuellen!
Die Stadt fühlte sich brüskiert und musste [...] den 'Stein des Anstosses', der nie einer war, aus dem Blickfeld wegräumen. Und so wurde [...] alles zerstört, was über zehn Jahre lang vielen von uns Frohmut, Entspannung und Kraft für den Alltag gegeben hat. [...]
Am meisten aber ist es zu bedauern, dass in diesen bald zwei Jahren kein Intellektueller und kein Wissenschafter in der Öffentlichkeit zu dieser ganzen Frage sachlich Stellung bezogen hat. [...] Der Leiter der Zeitschrift [...] hat sich [...] an einer öffentlichen Auseinandersetzung über das Strichjungentum zu seiner homoerotischen Veranlagung bekannt, einer Versammlung, [...] die aber ausser ihm und seinem Freund [Fredi Brauchli] von keinem einzigen zürcherischen Homoeroten besucht war! Die Forderung, aus der Anonymität endlich herauszutreten, klingt sehr schön [...], solange man sie nicht selbst erfüllen muss. [...]
Mit welch doppeltem Mass gemessen wird, zeigte eine Zeitungsnotiz über Sittlichkeitsdelikte. Zuerst las man von Beziehungen eines Mannes zu 18jährigen Jünglingen; der Bericht umfasste 23 Zeilen. Anschliessend las man von einem Familienvater, [...] der sich an mehreren Mädchen im Alter von 7-14 Jahren vergangen hatte, [...] kurz und bündig als Feststellung in 5 ½ Zeilen. [...]"
Im Februar 1962 erklärte Karl Meier die Gründe für das Ausfallen aller geplanten Zusammenkünfte im Dezember 1961.2 Es sei im Zusammenhang mit dem noch nicht aufgeklärten Mordfall Gähler folgendes geschehen:
"[...] Kurz nach der Tat wurde gedroht, dass jegliche weitere Zusammenkunft - und vor allem 'Feste'! - im bisherigen [...] Klublokal gestört und ein Skandal provoziert werde.
Um diese [...] höchst unerquickliche Situation nicht heraufzubeschwören, wurde im Interesse aller und der gemeinsamen Sache von einer Klaus-, Weihnachts- und Silvesterfeier, sowie auch von den bisher gepflogenen monatlichen Zusammenkünften abgesehen. [...]"
Während des ganzen Jahres 1961 hatte es in der "Eintracht" weiterhin pro Monat ein Treffen (nicht ganz regelmässig) gegeben. Es wurde jeweils im Kleinen Blatt ausgeschrieben. Nun war auch diese letzte noch mögliche Form ungezwungenen und sicheren Zusammenseins am gewohnten Ort abgewürgt worden.
Ernst Ostertag, November 2005
Quellenverweise
- 1
Der Kreis, Nr. 1/1962, Seite 2
- 2
Der Kreis, Nr. 2/1962, Umschlag