A D: Zeitzeuge
... Pissoirbesuch wird zur Falle
hey, die Zeitschrift der SOH, liess 1978/79 Berichte von Zeitzeugen der Repression veröffentlichen. Es ging um das Sammeln von Unterschriften für eine Petition zur Abschaffung und Vernichtung der Homo-Register in der Stadt Zürich. Die Redaktion hatte um Zuschriften von Betroffenen gebeten und publizierte drei davon. Die erste war als Leserbrief verfasst.1 Autor war A D. Sein Name war nur der Redaktion bekannt, denn auch damals getraute sich noch keiner mit vollem Namen vorzutreten:
"Ich musste aus natürlichen Gründen die Toilette am Bahnhofquai [existiert heute nicht mehr] aufsuchen. Drunten stand nur ein einziger Mann, seines Aussehens nach ein älterer Italiener. [...] Er hatte etwas aufzuweisen mit Seltenheitswert und so kam es, dass ich eben hinschaute [...]. Dann kam ein Dritter hinunter und stellte sich neben mich. Ich stand nicht neben dem Italiener. [...]
Auf einmal gab sich der neben mir stehende Mann als Polizist aus und verlangte unsere Ausweise. Ich hatte keinen bei mir, der Ausländer hatte seinen Pass. Wir wurden nun zusammen auf die Hauptwache geführt, jeder in ein Verhörbüro. [...] Ich fand meinen Tramausweis, [...] ein Papier, worauf mein Foto war. Es wurde mir abgenommen und der Beamte ging damit hinaus. Ich wurde mindestens eine Stunde allein gelassen. Zuvor wurde ich nach allen Kanten ausgefragt und es wurde gedroht, falls ich nicht die Wahrheit sagen würde. Benachrichtigung des Arbeitgebers war nur eine der Drohungen. Ich arbeitete damals bei der Stadtverwaltung. [...]
Das Schlimmste ist [...], dass gefragt wurde, ob ich einen Freund hätte. Ich bejahte dies und musste auch seinen Namen angeben. Wir wohnten schon viele Jahre zusammen. [...] Nun wurde ich beauftragt, meinen Freund am folgenden Tag ebenfalls bei der Sittenpolizei vorbeizuschicken, was mir fast nicht möglich war, denn ich wollte doch diese peinliche Affäre verschweigen. Mir drohte man mit dessen Abholung, falls ich mich weigern sollte. Für ihn, der ein in der Schweiz geborener Italiener ist, war es ein harter Schlag, denn er ist [...] ein ganz vorbildlicher Mensch. Er musste gehen und man hat auch seinen Pass fotokopiert und ihm den Rat gegeben, sich anständig zu benehmen, sonst würde die Fremdenpolizei eingeschaltet. [...] Gott sei Dank ist mein Freund trotzdem bei mir geblieben, aber er hatte seither einen Horror gegen die Polizei. [...]
Es gibt ja nicht nur dieses Register; vielleicht ist Ihnen bekannt, dass fast alle Sittenpolizeirapporte auch an die Vormundschaftsbehörde gehen und dass dort drei Beamte ständig damit beschäftigt sind, diese Akten den zuständigen Waisenräten zu unterbreiten. [...] Ich habe dies erst später erfahren, weil ein Kollege von mir zu dieser Amtsstelle wechselte und mir davon berichtete. Also ein richtiger Polizeistaat.[...]
Nun wurde meinem Freund von guten verheirateten Freunden angeraten, sich einbürgern zu lassen. Ich war dagegen. Die andere Seite siegte. Ich musste nun alles in die Wege leiten [...], da mein Freund nicht so kundig ist in schriftlichen Sachen. Er musste bereits einbezahlen für Stadt und Kanton. Bern [die entsprechende eidgenössische Behörde] verlangte zusätzliche Auskünfte. So z. B. ob wir beide HS seien. Ich schrieb auch diesen Brief, den er unterzeichnete.
Dann kam der negative Bescheid aus Bern. Keine Einbürgerung, da angenommen werden könne, dass der Gesuchsteller anormal veranlagt sei. [...] Das ist also meine Geschichte. Auch die meines Freundes.
Ich bin nun nach 33jähriger Arbeit bei der Stadtverwaltung seit letztem November in Pension. [...] Was ich Ihnen noch schreiben will in Sachen HS-Register: ich glaube nie an deren Vernichtung. Wenn es dies geben sollte, wird alles auf Mikrofilm aufgenommen und die Sache bleibt weiterhin bestehen, das weiss ich aus sicherer Quelle. [...]"
Ernst Ostertag, November 2005
Quellenverweise
- 1
hey, Nr. 6/1978, Seite 12