1978

Kritische Presse

Eine Reportage

In seiner Ausgabe vom 15. Mai 1978 fragte der Tages-Anzeiger (TA), Zürich,

"Sind Homosexuelle Staatsbürger zweiter Klasse?"

und brachte zu diesem Problem eine ganzseitige Reportage des Redaktors Kaspar Wespi, Rubrik "Das Problem".1 Erstmals stellte eine grosse Tageszeitung diese Frage und widmete ihr so viel Platz.

Dazu angeregt hatten die Telearena und ein Gespräch des Redaktors mit Kripo-Chef Walter Hubatka, dessen Zusammenfassung in einem Kasten beigefügt war. Aus diesem Kasten, ebenfalls unterzeichnet von Kaspar Wespi und betitelt mit "HS-Polizeiregister: Praktischer Nutzen fragwürdig":

"Spezifische Vorschriften über das HS-Register gibt es allerdings nicht, und so kommt es, dass das Register in einer juristischen 'Grauzone' zwischen Legalität und Opportunität zu Hause ist. [...] Hubatka sieht den Nutzen des Registers vor allem in einem gewissen 'Präventiveffekt'. [...] Bei der Aufklärung von Verbrechen bringe das Register jedoch kaum Hilfe, da es ja nicht vollständig sei. [...]

'Die amtliche Kenntnis der homosexuellen Neigung eines Menschen genügt nicht zur Registrierung.' [...]

Vielmehr wird nur registriert, wer sich einschlägig strafbar gemacht hat (Verführung eines Minderjährigen, gewerbsmässiger Strichgang) und wer sich durch öffentliche Betätigung seiner homosexuellen Neigungen exponiert, indem er sich etwa durch 'häufiges, aufdringliches und auffälliges Aufhalten an Strichplätzen' bemerkbar macht.

Hubatka räumt ein, dass die zweite Kategorie 'nach Ermessen' der Kriminalbeamten registriert wird.

Schwerer ist die Frage zu beantworten, wie ein Registrierter wieder aus dem Register herauskommt. 'Es handelt sich nicht um ein offizielles, gesetzlich geregeltes Register, etwa mit Löschungsfristen, wie es sie beim Zentralstrafregister gibt.' [...] 'Das Register wird bei der Sittenpolizei geführt, ist dort unter Verschluss, und nur Detektive der Sipo können es benutzen.

Wenn andere Kripo-Stellen Auskunft wünschen, müssen sie es unter Grundangabe über die Sittenpolizei tun.' [...] Ganz entschieden wendet sich Hubatka gegen die früher geübte Praxis, dass 'schon die blosse Tatsache der Homosexualität' registriert wird."

Völlig offen blieb hier die Frage, ob und wie alle unter "früher geübter Praxis" registrierten Menschen und Bürger wieder aus dem Register gelöscht werden.

In einigen Ausgaben des hey, Jahrgänge 1978 und 1979, erschienen Zeugnisse von Registrierten. Sie sprachen von menschenverachtenden Vorgängen in jenen Zeiten der "früher geübten Praxis". Sie bewiesen auch, dass Hubatka jene eindeutig gegen das Recht verstossenden Praktiken der Polizei verschwieg, obwohl er schon damals Kripo-Chef war und davon wissen musste. Ebenfalls zu diesen Zeugnissen gehörten unsere eigenen bösen Erfahrungen.

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Ernst Ostertag, Mai 2007

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Opfer der Repression

Quellenverweise
1

Kaspar Wespi, Tages-Anzeiger (TA), 15. Mai 1978, Seite 57