1978

Politischer Weg

CSD und Parteien

Im Winter 1977/78 kam die SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen) zum Schluss, es sei jetzt

2. der politische Weg

einzuschlagen. Man sammelte Daten und veröffentlichte die bisherigen Briefwechsel fast vollumfänglich in der April-Ausgabe des hey (Organ der SOH).1

Zur gleichen Zeit fand die Telearena vom 12. April 1978 statt. Mit dem erstmaligen Heraustreten in die grosse Öffentlichkeit, mit der trotzig lauten Abwehr von sturen Gegnern, mit dem ebenso trotzigen Brandmarken von Diskriminierungen und dem (noch vagen) Einfordern gleicher Rechte entdeckten die Homosexuellen den verbalen Widerstand. Das wiederum weckte ein neues, starkes Selbstbewusstsein. Man spürte Lust und Kraft zum Kampf in aller Öffentlichkeit und wollte nun die eigene Zukunft in die eigenen Hände nehmen. 

Mitte Mai begann die SOH mit den Vorbereitungen für den ersten CSD (Christopher Street Day) in der Schweiz. Jürg Wehrli im hey:2

"Wir versuchten, etliche Persönlichkeiten einzuladen, darunter auch politisch Aktive."

Ein CSD konnte nur ein politischer Aktionstag sein, darüber war man sich einig.

Am 16. Mai 1978 sandten Marcel Ulmann (Präsident) und Jürg Wehrli (Information) im Namen der SOH ein Schreiben an alle Sekretariate der Gemeinderatsparteien (Parlament) der Stadt Zürich: SVP, FDP, CVP, LdU, EVP (Evangelische Volkspartei), SP, POCH (Progressive Organisationen Schweiz) und PdA (Kommunisten). Darin führten sie unter anderem aus:

"Unsere Organisation befasst sich seit mehr als dreissig Jahren mit den Problemen homosexueller Menschen und möchte dazu beitragen, dass die gesetzlichen Hindernisse der Gleichberechtigung entfernt werden. Momentan befassen wir uns mit dem sogenannten 'Homosexuellen-Register' der Polizei, in welchem auf relativ willkürlicher Basis Leute erfasst werden, deren gleichgeschlechtliche Neigung bekannt wird.

Da ein ähnliches Register (das sogenannte 'Freier-Register') vor einigen Jahren nach einer Interpellation im Zürcher Gemeinderat abgeschafft wurde, sehen wir nicht ein, warum das Homosexuellen-Register weiterbestehen soll. Wir suchen nun auf parlamentarischer Basis Wege, um diese Diskrimination aufzuheben, und es würde uns interessieren, inwiefern uns Ihre Partei dabei behilflich sein könnte. Wir bitten Sie deshalb, mit uns das Gespräch aufzunehmen [...]"

In seiner Antwort vom 21. Juni 1978 schrieb der damalige Präsident der stadtzürcherischen Sektion der SP, Moritz Leuenberger:

"Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom [...] möchte ich Ihnen mitteilen, dass ich mich sehr für Ihre Anliegen interessiere und auch bereit bin, einen Vorstoss im Gemeinderat zu machen. Ich wäre Ihnen aber dankbar, wenn Sie mir mitteilen würden, ob nicht schon eine andere Partei [...] Vorstösse unternimmt. Diesfalls wäre die Sache ja in besten Händen."

Aus der Antwort von Marcel Ulmann und Jürg Wehrli, datiert mit 27. Juni 1978:

"Bisher hat sich einzig die SP des Kantons Zürich positiv dazu geäussert."

Und das geschah bereits am 18. Mai.

Moritz Leuenberger war von 1995-2010 Bundesrat und in den Jahren 2001 und 2006 Bundespräsident. Am 23. Juni 2001 sprach er als Gastredner am CSD in Zürich und war damit wohl das erste Staatsoberhaupt weltweit, das an einem Christopher Street Day anwesend war und eine Rede hielt.

Andere Parteien äusserten sich folgendermassen:3

  • Die EVP Kanton (19. Mai) und Stadt (24. Mai) vertrösteten auf später und
  • die FDP (26. Mai) wollte erst einmal Unterlagen juristischer Natur, die geliefert wurden. Danach blieben diese Parteien stumm.
  • Die SVP (30. Mai) schrieb, sie sei gegen jede Diskriminierung von Homophilen, beschäftige sich aber "nicht in extenso mit diesbezüglichen Anliegen", nehme aber diese "Belange im Rahmen ihrer gesellschaftspolitischen Tätigkeit wahr. Weitergehende Aktivitäten wird die SVP in näherer Zukunft nicht anpacken können."

Überhaupt keine Antwort gaben die CVP, der LdU, die POCH und die PdA.

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Ernst Ostertag, Mai 2007

Quellenverweise
1

hey, Nr. 4/1978.

2

hey, Nr. 3/1979, Seite 7

3

hey, Nr. 3/1979, Seite 7 und 8