1978

Presse: Zur Lage

Schwule und Beruf

Aus der Reportage von Kaspar Wespi im Tages-Anzeiger:1

"Es kann nicht angehen, dass die Polizei nach Ermessen Personen registriert, die ihr als Homosexuelle missfallen, weil sie sie häufig auf Strichplätzen antrifft. Schliesslich werden Freier, die sich noch so auffällig um Dirnen bemühen, auch nicht (mehr) polizeilich verzeichnet. Mit Recht wehren sich die Homosexuellen also gegen diese Art der staatlichen Erfassung.

Beunruhigend ist namentlich der Umstand, dass das Homosexuellenregister - mangels gesetzlicher Vorschriften - völlig unkontrolliert dahinexistiert, als eine Art 'bürokratisches Spielzeug' der Sittenpolizei. Nicht einmal der Chef der Kriminalpolizei vermag zuverlässig und konkret zu sagen, wer tatsächlich registriert wird und an wen allenfalls die Auskünfte erteilt werden. Richtlinien sind zwar da, aber niemand weiss, ob sich die Polizei im Einzelfall stets an sie hält."

Der Report ging dann der Lage von Homosexuellen nach, die als staatliche Beamte tätig sind oder sich dafür bewerben: Als Lehrer würden sie im Kanton Zürich "grundsätzlich zugelassen", wie ein Sprecher der Erziehungsdirektion, Rudolf Roemer, erklärt habe und das HS-Register werde nie konsultiert, "ob gelegentlich lokale Schulpflegeorgane entsprechende Auskünfte einholen, entziehe sich seiner Kenntnis." Bei der Polizei wurde hingegen festgehalten:

" 'Homosexualität ist für uns ein strikter Ablehnungsgrund', erklärt Stadtpolizeikommandant Rolf Bertschi.

'Homosexuelle Polizisten wären wegen der mit ihrer Veranlagung verbundenen Erpressungsgefahr ein zu grosses Sicherheitsrisiko für uns.' "

Und die Nachfrage bei Bezirksanwälten (Untersuchungsrichtern) ergab, dass ledige Anwärter auf diesen Posten "bis vor kurzem vor ihrer Anstellung regelmässig danach gefragt wurden, ob sie homosexuell veranlagt seien". Ein solcher sei dann auf die

"Problematik persönlicher Konflikte bei gewissen Strafuntersuchungen aufmerksam gemacht worden.

'Bisher hat noch kein derartiger Anwärter nach dieser Aufklärung auf seiner Einstellung beharrt', erklärt dazu Staatsanwalt Bruno Trinkler."

Es folgten die Nachfrage beim Militärdienst, wo generell Diensttauglichkeit für Homosexuelle bestehe, und das Aufzeigen ungleicher Behandlung im Strafgesetz (StGB: ungleiches Schutzalter für junge Männer gegenüber jungen Frauen), wie der Hinweis auf das totale Verbot gleichgeschlechtlicher Handlungen im Militärstrafgesetz, woran "sich auch bei der anstehenden Revision [...] nichts ändern wird, wie aus dem EMD verlautet".

Aus den letzten Abschnitten "Sind Homosexuelle weniger integer?" und "Selbstsicherheit schafft Toleranz":

"Bei allen persönlichen Einschränkungen, die sich Homosexuelle gefallen lassen müssen, scheint unterschwellig die Überlegung mitzuspielen, dass sie moralisch 'anfälliger' seien als Heterosexuelle und stärker gefährdet in Richtung eines Missbrauchs ihrer Veranlagung oder in krimineller Hinsicht. Damit sind Unterstellungen verbunden, etwa dass der sexuelle Aspekt in der Homosexualität absolut dominant sei oder dass die Homosexuellen geltende Gesetze leichter übertreten oder dass die Kriminalitätsrate (Sittlichkeitsdelikte) bei ihnen höher sei. Das sind aber alles blosse Vorurteile, die durch keinerlei objektive Erkenntnisse gesichert sind. [...]

Auch das Argument der 'Erpressungsgefahr' überzeugt nicht. Denn die wichtigste Erpressungsmöglichkeit ist doch die Information des Arbeitgebers; sie würde wegfallen, wenn dieser einen homosexuellen Arbeitnehmer akzeptiert.

Ziemlich durchgehend ist schliesslich die Auflage an die Homosexuellen, sie hätten sich 'unauffällig' zu benehmen, sie dürften kein 'Ärgernis' erregen. Da schmückt sich der Wolf mit dem Toleranzpelz. Das Mass an Liberalität und Toleranz, das eine Gesellschaft gewährt, entspricht ihrer Selbstsicherheit. Spontan reagieren wir unsicher und repressiv gegen alles, was aus der Norm fällt."

Nach oben

Ernst Ostertag, Mai 2007

Quellenverweise
1

Kaspar Wespi, Tages-Anzeiger (TA), 15. Mai 1978, Seite 57