1978

Presseberichte

Verständnis

Die NZZ veröffentlichte den Bericht ihrer Journalistin Margret Mellert, "mm.", mit dem Titel "Der weite Weg zur Toleranz, öffentliche Kundgebung der homophilen Organisationen":1

"Der Grund für die Kundgebung mag Uneingeweihte etwas befremdet haben, da [...] wohl kaum jemand den Christopher Street Day gekannt [...] haben wird. Zudem mag man sich gesagt haben, neun Jahre seien halt kein Jubiläum. Dies dürfte [...] der Grund dafür gewesen sein, dass an der vorangegangenen Pressekonferenz die Presse mit geradezu beschämendem Desinteresse durch Abwesenheit glänzte. [...] Mit dieser ersten Kundgebung auf öffentlichem (Zürcher) Grund wurde auch versucht, die Bresche zu nutzen, die die 'Telearena' vom April in die Ghettomauer geschlagen hatte, und das damals von beiden Seiten allzu emotionsgeladen begonnene Gespräch engagiert, aber sachlicher weiterzuführen. Die Kundgebung [...] verlief ausnehmend friedlich.

[...] Weit mehr Resonanz3 fand der Informationsstand an der Bahnhofstrasse. [...] Wichtigstes und vordringlichstes Anliegen war dabei eine Petition zur Abschaffung und Vernichtung des [...] Homo-Registers, das während der 'Telearena'-Sendung nur ganz kurz zur Sprache gekommen war - jenes Registers, in dem Schweizer Bürger nicht etwa deshalb verzeichnet sind, weil sie Straftaten begangen hätten, sondern einzig und allein, weil sie homosexuell sind oder in homophilen Kreisen verkehren. [...] Rund 500 Unterschriften sind [...] zusammengekommen. Eine erfreuliche Zahl.

[...] Immerhin könnte der Samstag für die Homophilen ein weiterer Schritt gewesen sein auf dem Weg aus der unfreiwilligen Isolierung heraus ins - wenigstens - Toleriertwerden. Das ist zwar schon viel, aber schweigende Toleranz ist noch nicht genug. 'Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein, sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heisst beleidigen.' Über diese bei Goethe gefundene Erkenntnis wäre nachzudenken."

In seinem Interview mit der Zeitschrift Schweizer Illustrierte, sie+er sagte der Basler Schwulenaktivist Peter Thommen:2

"Die Polizei versucht, durch das Aufbauen eines Netzes von Kontaktpersonen möglichst ausführlich über die Szene und übers Milieu informiert zu werden. Das ist falsch. Man kann nicht einfach eine Gruppe von geschiedenen Frauen, Zigeunern, Juden oder eben Schwulen herausnehmen und sagen, sie seien besonders gefährdet und müssten deshalb, quasi vorbeugend, besonders überwacht und registriert werden."

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Ernst Ostertag, Mai 2007

Quellenverweise
1

Neue Zürcher Zeitung, 26. Juni 1978, Seite 21

2

Schweizer Illustrierte, sie+er, 2. Oktober 1978, Seite 30

Anmerkungen
3

als die verregnete Veranstaltung im Platzspitz