1980
Presse
Berichte, Kommentare
Die Basler Zeitung, BZ berichtete unter "Schwulenkartei":1
"Gegen zweitausend Personen forderten am zweiten eidgenössischen Schwulen- und Lesbentag in Basel an der 'Gay 80' die Gleichstellung der Homosexuellen mit den Heterosexuellen. [...] Erfreulich ist (wäre) es ja, wenn die Leute angefangen hätten, umzudenken [...]. Ob die selbstverständliche Toleranz gegenüber Homosexuellen, die der BZ anlässlich einer Umfrage auf der Strasse begegnet ist, auch wirklich das Verhalten [...] gegenüber dieser Minderheit widerspiegelt? In homosexuellen Arbeitsgruppen aktive Frauen und Männer wissen da leider anderes zu berichten."
Stephan Miescher zitierte in "Männergeschichten", dem Katalog zur gleichnamigen Basler Ausstellung von 1988, ebenfalls aus der BZ:2
"Selten hat Basel einen derart ausgelassenen und überzeugten sowie in allen Farben schillernden Zug zu sehen bekommen."
Er fügte jedoch unter dem Titel "Provokation" eine Ergänzung hinzu:3
"Wenn zwei Schwule sich auf der Strasse umarmen oder sich in einem heterosexuellen Lokal zu nahe kommen, löst ihr Handeln Protest aus: Die Umgebung reagiert schockiert und wird oft aggressiv. Ein Schwuler erzählte uns in einem Gespräch, eine wichtige Station in seinem Coming-out sei das Erlebnis gewesen, seinen Freund in einem bekannten Basler Lokal zu küssen. Viel Genugtuung verspürte er, als der Wirt ihn samt seinem Freund hinauswarf. Die Provokation hatte den gewünschten Schock ausgelöst, ein Stück Aufklärungsarbeit war geleistet.
Aufklärung durch Provokation: in dieser Strategie steckt die grosse Wirkung der neuen Schwulenbewegung in der Öffentlichkeit. Der eingeplante Schock führt bei den Heterosexuellen zu einer Auseinandersetzung mit den meist nicht wahrgenommenen Schwulen, zudem mit ihren eigenen homosexuellen Empfindungen."
Da wäre eventuell noch beizufügen, was Prof. Alfred Kinsey in seinem berühmten Report bereits 1948 festgestellt hatte, dass sehr viele heterosexuelle Männer "eigene homosexuelle Empfindungen" haben, die sie aber meist, und von früher Jugend an, so tief und nachhaltig verdrängen, dass beispielsweise ein vor ihnen sich küssendes Schwulenpaar heftigste Aggressionen auslöst, die sich sofort und unkontrolliert in verbalen oder handfesten Attacken entladen. Damit outen sich solche Männer ungewollt und in drastischer Deutlichkeit als Opfer ihrer "eigenen verdrängten homosexuellen Empfindungen" - was man heute bei homophoben Migranten, Fussballern oder religiösen Minderheiten bis hinauf in den Vatikan exemplarisch illustriert bekommt.
Es ist anzunehmen, dass hier auch einer der Gründe liegt, warum sich viele Väter von Homosexuellen mit der Veranlagung ihrer Kinder, vor allem ihrer Söhne, so markant schwerfälliger abfinden, als das bei Müttern im allgemeinen der Fall ist. Die Söhne leben aus, was die Väter als "unmännlich" abtaten und versenkten.
Ernst Ostertag, Juni 2006
Quellenverweise
- 1
Basler Zeitung, BZ, 27. Juni 1980
- 2
Stephan Miescher, Männergeschichten, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Basel 1988, Seite 119, Nachdruck aus der Basler Zeitung, BZ, 23. Juni 1980
- 3
Stephan Miescher, Männergeschichten, Katalog zur gleichnamigen Ausstellung in Basel 1988, Seiten 120 und 121