1990

Schnelle Reaktion

Die drei hauptsächlich involvierten und zahlenmässig stärksten schwulen Organisationen treten sofort in Aktion.

Anfang Mai 1990 treffen sich Vertreter der SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen), HAB (Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern) und des Ursus Club Bern. Ab sofort verweigern sie jede Zusammenarbeit mit Organen der Berner Polizei. Alle bisherigen Kontakte werden gestoppt. Gemeinsam erstellen sie einen Katalog von ultimativen Forderungen und übergeben ihn der Polizei.

Da diese nur auf wenige Punkte eingeht und eine Pressekonferenz ankündigt, werden die Organisationen offensiv und veröffentlichen bereits einen Tag zuvor ihre eigene Pressemitteilung unter dem Titel

"Abschaffung der Schwulenkartei reicht nicht."

Darin sind alle ihre Forderungen aufgelistet:

  • eine Entschuldigung der Polizei für das Sammeln von Daten unbescholtener Bürger samt Eintrag in ein diskriminierendes Register,
  • Stopp der Aktion und Vernichtung der noch unverbrauchten Meldekarten,
  • Benachrichtigung und Einsichtnahme der Betroffenen via datenschutzbeauftragtem Beamten,
  • das Aufbewahren der ominösen Meldekarten in einem neutralen Archiv,
  • diese Forderungen sind bis spätestens Ende August zu erfüllen.

Es kommt zu monatelangen Verzögerungen durch die Polizei wie auch seitens des Datenschützers; Verzögerungen, die nur mit schwachen Argumenten den Verdacht einer bewusst gewählten Taktik einigermassen entkräften können.

Schliesslich, zum Jahresende, will der neu in seinem Amt tätige Polizeidirektor des Kantons Bern die ihm leidige Affäre möglichst rasch und geräuschlos beenden. Er dekretiert einen relativ faulen Kompromiss:

  • die Gesamteinsicht wird verweigert,
  • betroffene Personen können von sich aus Einsicht beantragen,
  • ein Termin für die endgültige Vernichtung wird gesetzt,
  • archiviert werden nur die unkenntlich gemachten Meldekarten des Buchstabens B,
  • eine Entschuldigung fehlt.

Die Organisationen, traurig und geschwächt durch den Verlust vieler besonders aktiver Freunde, alle an Aids gestorben, wissen nun mit grösstmöglicher Sicherheit: Vorläufig wird im ganzen Land niemand mehr ein Homo-Register führen wollen. Sie verzichten auf einen Rekurs. Es fehlt die Kraft dazu.

Denn sie und alle schwulen Aktivisten stehen Anfang 1991 vor einer neuen grossen und wichtigen Herausforderung. Es wird zu einer Volksabstimmung über die Revision des Eidgenössischen Strafgesetzbuches kommen. Und dieser Abstimmungskampf muss gewonnen werden.

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Ernst Ostertag, August 2011