ab 1972
Ich bin schwul!
Neues Selbstbewusstsein
Rosa von Praunheims Film machte es deutlich. Wenn es heisst "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt", dann ist diese Situation zu ändern. Und das sollen in erster Linie die Homosexuellen selber tun. Sie müssen hinaus in die Öffentlichkeit. Dort müssen sie ihre Situation erklären und die nötigen Forderungen stellen. Die Forderungen zu stellen bedingt auch, die Erfüllung der Forderungen durchzusetzen.
Der Film zeigte zudem, dass Anpassung und Verstecken der eigenen Homosexualität die selbstbewusste Entfaltung der normalen Persönlichkeit verhindert.
Versteckte sind Perverse. Sie treten niemals hinaus und fordern gleiche Rechte. Im Gegenteil, sie hassen die offen Auftretenden. Denn ihr Verstecktsein ist dadurch gefährdet. Aktiv pervers werden sie dann, wenn sie öffentlich gegen ihresgleichen, gegen offen Homosexuelle auftreten. Dafür gibt es viele Beispiele, besonders bei dezidiert Religiösen und bei konservativen Politikern.
Wer damals die perverse Situation total auflösen wollte, der musste zuerst sich selbst als Homosexuellen anerkennen. Erst dann war ein Hinaustreten in die Öffentlichkeit und der Kampf um gleiches Recht möglich.
Erleichtert wurde dieser Schritt dadurch, dass man eines der gebräuchlichsten und diffamierndsten Schimpfworte zur Selbstbezeichnung machte - und das öffentlich, aber meist in der Gruppe:
"Wir sind Schwule! Und wir sind stolz, schwul zu sein!"
Ernst Ostertag, April 2011