1976

Aufruf

… und Brief an Leser des hey

Es kamen viele Zuschriften. Max Krieg dazu:

"Die allermeisten waren ermutigend und dankbar. [...] Bald folgten Leserbrief-Antworten mit vollem Namen und Adresse."

Somit wurde auch die Verwandtschaft informiert.

"Am schwierigsten war es [...] mit ihrer Schwester, die 'so etwas' als absolut unanständig und widernatürlich empfand, und dazu noch in aller Öffentlichkeit. Unterstützt wurde diese Schwester auch durch die Stellungnahme ihres Ortspfarrers, der in Leben und Glauben schockiert reagierte."

Doch bereits im März hatte "Frau I.K." eine ausführlichere und persönlicher formulierte Form ihres Leserbriefes im hey, Organ der SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen) erscheinen lassen.1 Natürlich stand ihr Sohn Max dahinter, der unter anderem als Carlos im hey die Rubrik "Notizie dal Ticino" betreute und im "Club In", Lugano, tätig war. Aus diesem Brief:

"Unser Sohn ist homosexuell! - Was bedeutet diese Erkenntnis für uns Eltern? Eltern, die in einer Zeit jung waren, da man nicht über Sexualität sprach: Lesbisch und homosexuell waren für uns gleichbedeutend mit 'Sauerei'. Also zuerst Trauer, Schrecken und Sorge.

[...] Es war eine schwere Zeit. Aber Max half uns immer wieder verstehen zu lernen und umzudenken. Auch mein Gatte hatte Geduld mit mir. Ich muss gestehen, dass ich tagelang weinte, denn damals wusste ich ja noch nicht, dass das Leben auch so sinnvoll und schön sein kann.

[...] Wie dankbar war ich gerade für diesen Sohn, als mein lieber Mann [...] starb. Kein anderer Sohn hätte mir in dieser allerschwersten [...] Zeit mit so viel Verständnis und Liebe zur Seite stehen können.

[...] Woher sollen unsere Kinder Verständnis und Hilfe erwarten, wenn nicht von den nächsten Angehörigen? Und Ihr, Söhne und Töchter, habt Geduld mit den Eltern. Sucht immer wieder das Gespräch und lasst Euch nicht so schnell entmutigen. Mir scheinen Eingaben an Behörden wenig erfolgreich, wenn nicht gleichzeitig das Umdenken im kleinen Kreis geschieht. Eben in der Familie.

Dringend gesucht: Eltern, die gewillt sind

  1. die Situation unserer lesbischen Töchter und homosexuellen Söhne verbessern zu helfen
  2. Eltern beizustehen, die neu mit dem Problem konfrontiert werden.

Zu einer ersten Kontaktnahme wenden Sie sich bitte an: [...]"

Angegeben waren Postfach und Adresse des Verlags Plädoyer, also die Anschrift von hey und SOH.

Nach oben

Ernst Ostertag, Mai 2007

Quellenverweise
1

hey, Nr. 3/1976, Seite 27