1976

Gründung

"Elternkontaktstelle"

Im Bericht über das Werk seiner Mutter schrieb Max Krieg zur ersten Zusammenkunft betroffener Eltern:

"Aus den ersten telefonischen und schriftlichen Kontakten und Begegnungen mit anderen Eltern[teilen], mit Schwulen und Lesben und mit Ehefrauen von Schwulen, aber auch mit Schwulen- und Lesbenorganisationen ergab sich klar, dass die Zeit für ein erstes Treffen [...] reif war.

Es fand in Kappel [Kanton Solothurn] in unserem Familienhaus statt. Lange war es nicht mehr so belebt gewesen. Eltern aus Zürich, Basel, der Region Bern, mehrere Söhne [nebst mir auch Peter Thommen, Basel] waren dabei. Als besonders aufwühlend wurden drei Geschichten empfunden: jene eines anwesenden Freundespaares, deren Väter, beides Ärzte, ihre Söhne aus den Elternhäusern geworfen hatten; jene des Sohnes, der aus seinem Eltern- und reformierten Pfarrhaus herausgeekelt wurde und jene, wo die Mutter ihren Sohn vor dem Zorn des Vaters schützen musste."

Diese Zusammenkunft führte zur Gründung der Elternkontaktstelle:

"Sie funktionierte als lose Vereinigung, ohne ein eigentlicher Verein zu sein, und lebte aus den Unterstützungsbeiträgen der Sympathisantinnen und Sympathisanten. [...] Mit einem Pressecommuniqué wurde die Gründung den Medien mitgeteilt."

Zwei der Anwesenden, Janul Giger / Hans Geiger und "Julia", schrieben im hey einen Bericht mit dem Titel

"Elternkontaktstelle; Die Wärme einer Mutter bricht das Eis…"1

Dieses hey war als Werbenummer konzipiert mit fast doppeltem Inhalt als üblich und wurde gratis an viele Stellen und Betriebe versandt. Aus dem Bericht:

"An einem Samstag im August fand das erste Treffen von Homo-Eltern statt. Es kamen verlegene, bedrückte, offensichtlich verzagte Mütter und sie gingen, spätabends, mit neuen Einsichten, erweitertem Verständnis und gestärktem Selbstvertrauen. [...] Die Erfahrung, dass andere sich mit ähnlichen Problemen auseinandersetzen müssen und sie nicht allein sind, hat sie aufgerichtet. Diese Mütter haben sich zu einer mutigen Tat entschlossen, sie wollen das Eis brechen unter dem sie selbst jahrelang gelitten haben. [...]"

Dazu "haben sie die 'Elternkontaktstelle' gegründet mit dem Ziel, jenen Eltern beizustehen, die wegen ihrer andersliebenden Kinder Probleme zu bewältigen haben [...]. Unsere Mütter wehren sich dagegen, dass das Phänomen der gleichgeschlechtlichen Liebe weiterhin totgeschwiegen wird. [...] Diese Initiative mutet fast revolutionär an, wenn man bedenkt, dass hier erstmals nicht-homosexuell orientierte Menschen sich mit uns und unseren Anliegen solidarisch erklären. [...]"

In einem Kasten neben dem Bericht standen unter der Überschrift "Apropos Väter" die folgenden Sätze:

"[...] nicht vorhanden waren: DIE VÄTER! 'Wo sind sie geblieben…' möchte man fragen, was hat sie dazu bewogen [...], sich durch die bessere Hälfte vertreten zu lassen? Warum verstecken sie sich, wenn lebenswichtige Probleme ihrer Söhne und Töchter zu besprechen sind, welche die ganze Familie angehen? Die Gründung der 'Elternkontaktstelle' ist eine grossartige Sache. Dass sie nicht zu einem 'Mütter-Verein' umgetauft werden muss, dafür sorgen hoffentlich inskünftig - DIE VÄTER."

Ein weiterer Kasten enthielt das Pressecommuniqué:

"Auf Grund von Leserbriefen in diversen Zeitschriften haben sich Eltern von homosexuellen Töchtern und Söhnen zu einer Besprechung zusammengefunden. Dabei hat sich deutlich gezeigt, wie brennend das Bedürfnis nach Aussprache ist, denn viele Eltern stehen diesem Problem völlig hilflos gegenüber. Deshalb haben wir uns entschlossen, eine 'Eltern-Kontaktstelle' zu schaffen, wo besorgte Mütter, Väter und andere Betroffene ihre Erfahrungen austauschen und sich Rat holen können. Wenden Sie sich vertrauensvoll an uns. Absolute Diskretion ist Ihnen zugesichert.

Elternkontaktstelle, Postfach 94, 8804 Au / ZH"

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Ernst Ostertag, Mai 2007

Quellenverweise
1

hey, Nr. 10/1976, Seite 43