1977

Ziele

… an der Boldern-Tagung

Fortsetzung des Referats von Frau Krieg:

 "Was sind unsere Ziele?

Zum Erfahrungs- und Gedankenaustausch wollen wir in allen Regionen Kontaktstellen schaffen. Die Eltern sollen aus der Anonymität heraustreten, sodass es bald überhaupt nichts mehr bedeutet, eine solche Tochter oder einen solchen Sohn zu haben. Gleichgeschlechtliche Liebe muss bejaht werden, sodass die Jungen nicht abgleiten und die Alten nicht in die Einsamkeit gestossen werden. [...] Um diese Ziele zu erreichen ist es nötig, dass vorab die Eltern, die Angehörigen, aber auch die Öffentlichkeit 'aufgeklärt' werden. 'Aufgeklärt' soll in diesem Fall heissen: [...]

  • Wissen, dass diese Art nicht selbst ausgesucht wird, im Gegensatz zur Drogenabhängigkeit.
  • Wissen, dass sie den Glauben nicht ausschliesst. [...]
  • In den Schulen will man nicht mehr mit aller Gewalt aus Linkshändern Rechtshänder machen, so soll es auch hier sein.
  • Eltern sollen wissen, dass mit diesem Faktor gerechnet werden muss, ohne überängstlich zu sein. Die Kinder müssen sich frei entfalten können. [...]
  • Töchter und Söhne sollen den Mut haben, sich den Eltern zu eröffnen, schon damit sie keinen Grund haben, sich in Ehen drängen zu lassen, die zum Vornherein zum Scheitern verurteilt sind.

[...] Alle Anwesenden bitte ich, bringen Sie, wo immer sich Gelegenheit bietet, das Gespräch in positivem Sinne auf dieses Thema. Um Ihre eigene Zivilcourage zu trainieren, beginnen Sie [...] im Verwandtenkreis. Man hat bald einmal das 'Gespür', wo es sich lohnt und wo nicht. [...]

Abschliessend hoffe ich, dass viele Eltern den Wunsch haben, bei uns mitzumachen, und dass viele Junge ihre abwesenden Eltern ermuntern, sich der Kontaktstelle anzuschliessen. Ich danke fürs Zuhören und will mich noch kurz vorstellen. [...]: Irma Krieg-Morath, 4616 Kappel (SO), Hausfrau, ehemalige Geschäftsfrau. Mit Rücksicht auf meine Mutter bitte ich, den Namen nicht hinauszutragen. [...]"

In ihrem Manuskript fügte sie handschriftlich hinzu:

"Diese Sorge war überflüssig. Der Kommentar meiner Mutter: Deshalb ist mir euer Sohn nicht weniger lieb."

Ein Bericht über diese Boldern-Tagung erschien im hey 9/1977, Organ der SOH (Schweizerische Organisation der Homophilen) und im selben Heft stand wiederum ein doppelseitiger Aufruf, bei der Elternkontaktstelle mitzumachen oder dieses Projekt finanziell zu unterstützen.1 Der Titel lautete: "Die Eingliederung der Homosexuellen beginnt in der Familie". Ein Dankesbrief der Kontaktstelle weist darauf hin, dass die SOH alle Druckkosten für Zirkulare und Einzahlungsscheine übernommen hatte.2

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Ernst Ostertag, Mai 2007

Quellenverweise
1

hey 9/1977, S.10 und 14

2

Ein Dankesbrief der Kontaktstelle mit Datum 17. Juli 1977 weist darauf hin, dass die SOH alle Druckkosten für Zirkulare und Einzahlungsscheine übernommen hatte. sas 36.70.8, Mappe 1