1978
Genf: Filmfestival
Erstmals in der Schweiz
Vom 31. Oktober bis 19. November 1978 fand in Genf ein erstes Filmfestival "Cinéma et Homosexualité" auf Schweizerboden statt. Dazu hatten sich sowohl die Männer der GHOG (Genf) wie die Leute der GLH (Lausanne) mit den Frauen der Groupe lesbien (GL) verbunden. Die Filmreihe konnte im CAC-Voltaire (Centre d'Animation Cinématographique Voltaire) durchgeführt werden.
Pierre Biner zum Vorfeld der Veranstaltung:1
"Dans un tract - on dirait aujourd'hui un flyer - le GHOG, fidèle à sa ligne provocatrice, sortait tous les clichés homophobes et invitait ainsi les spectateurs: 'Les pédés sont désaxés / violent les petits garçons / sont tous antiquaires et garçons coiffeurs / sont des obsédés sexuels / sont impuissants, efféminés et contre nature: c'est un fléau social.*) Nous, vénéneuses fleurs du mal, vous attendons pour prouver que tout cela est VRAI! Au Festival Homosexualité et Cinéma [...]'.
*) En France, l'homosexualité avait été désignée 'fléau social' à combattre en priorité, par la chambre des députés. Fleurs du mal est une allusion au livre de poésies de Baudelaire poursuivi par la censure au 19e siècle."4
Zum Filmereignis:2
"Das Festival erzielte unerwarteten Erfolg bei unterschiedlichsten Bevölkerungskreisen und löste ein riesiges Medienecho aus mit Applaus seitens der einen und, wie erwartet, Empörung von gewissen anderen. Zu diesen anderen gehörten unter anderen Les Vigilants, eine militant rechte Partei, die von 1964 bis 1990 existierte. Rui Nogueira, der eben eingesetzte junge Direktor des CAC, musste sich vor den städtischen und kantonalen Behörden/Parlament rechtfertigen und Les Vigilants drohten mit Aufhebung der Subventionen für die Filminstitution. Doch ihr Vorstoss wurde von einer starken Mehrheit der Abgeordneten von Stadt und Kanton abgelehnt. Lise Girardin (FDP, Stadt, Kultur) und André Chavanne (SP, Kanton, Erziehung) hielten - offiziell - die Zusammenarbeit zwischen dem CAC und der GHOG als 'une erreur qui ne se reproduirait plus' (ein Fehler, der sich nicht wiederholen werde)."
Pierre Biner zu den Vigilants:3
"Le parti Vigilants, groupe genevois d'extrême-droite défenseur des valeurs et de la morale traditionnels, et partisan acharné de la censure, a protesté avec véhémence contre le soutien des pouvoirs publics au Festival 'Cinéma et Homosexualité'. Il militera ensuite dans d'autres domaines pour le maintien d'un contrôle étroit de l'évolution des mœurs."5
Jean-Pierre Sigrist zu den Folgen des Filmfestivals:
"Erstmals in der Genfer Geschichte machte die homosexuelle Befreiungsfront (GHOG) politische Schlagzeilen mit ihrem Pressecommuniqué vom 14. Dezember 1978 und dem darin formulierten Ziel:
'dénoncer l'oppression quotidienne dont nous sommes les victimes. Le festival Cinéma et Homosexualité nous a pour la première fois permis d'engager le dialogue dans un lieu ouvert et public et de tenter de dépasser les clichés traditionnels dont nous affuble la société.'6 "
Ernst Ostertag und Jean-Pierre Sigrist Mai 2008
Quellenverweise
- 1
Pierre Biner, in einem Mail an Ernst Ostertag, 28. Mai 2008
- 2
Jean-Pierre Sigrist, Februar 2008
- 3
Pierre Biner, in einem Mail an Ernst Ostertag, 31. Mai 2008
Anmerkungen
- 4
Übersetzung: "In einem Traktat - heute würde man Flyer sagen - kam GHOG, ganz seiner provokativen Linie getreu, mit allen homophoben Klischees heraus, um damit die Zuschauer herzlich einzuladen: 'Schwule sind seelisch gestört / vergewaltigen kleine Buben / sind alle Antiquitätenhändler oder Friseure / sind sexbesessen / sind Schwächlinge, weibisch und widernatürlich: eine gesellschaftliche Plage.*) Wir, die giftigen Blumen des Bösen, wir erwarten Sie, um Ihnen zu beweisen, dass all das STIMMT! Am Festival Homosexualität und Film [...]'
*) In Frankreich wurde Homosexualität im Parlament als 'gesellschaftliche Plage' bezeichnet, um sie wirksam bekämpfen zu können. 'Die Blumen des Bösen' ist eine Gedichtsammlung von Charles Baudelaire, 1857 erstmals unter diesem Titel erschienen, aber von der Zensur verboten."- 5
Übersetzung: "Die Vigilants, eine Genfer Gruppe der extremen Rechten, traten für die Verteidigung traditioneller moralischer Werte ein und waren auch hartnäckige Befürworter der Zensur. Sie protestierten vehement gegen die Unterstützung des Festivals durch die öffentliche Hand. Des Weiteren betätigten sie sich vor allem im Bereich möglichst einschränkender Überwachung aller sittlichen Entwicklungen."
- 6
Übersetzung: '… die tägliche Unterdrückung aufzuzeigen, deren Opfer wir sind. Dazu hat das Filmfestival uns zum ersten Mal verholfen und es zudem ermöglicht, an einem offenen und öffentlichen Ort einen Dialog zu führen und zu versuchen, jene traditionellen Muster zu verlassen, welche uns die Gesellschaft aufzwingt.'