1994/1995

Erlahmter Einsatz

VHELS auflösen?

An der Mitgliederversammlung vom 7. Mai 1994 wurden zwei neue Vorstandsmitglieder als "Beisitzer" gewählt: Benedikt Lehmann (BS) und Bernhard Rüegger, Wettingen (AG).

Am 14./15. September 1994 fand das traditionelle Herbsttreffen auf Schloss Münchenwiler (BE) statt. Das Thema lautete "VHELS - quo vadis?" Es sollten - auf Grund der Auswertung einer zuvor durchgeführten Fragebogenaktion unter den Mitgliedern - Richtlinien und Vereinsziele für die kommenden Jahre geklärt und bestimmt werden. Anders als in den Vorjahren meldete sich aber nur eine winzige Zahl von Teilnehmern an. Der Präsident als Organisator war frustriert, setzte im Bulletin den Titel "Flop auf Schloss Münchenwiler" und beendete seinen Bericht über das Treffen mit folgenden Sätzen:1

"[...] Dass sich am Samstag 6 und am Sonntagnachmittag nur gar 4 Mitglieder für die Zukunft der VHELS interessierten, zeigt mir, dass die Beliebigkeit in diesem Verein [...] ein Mass angenommen hat, dass ich seine Existenzberechtigung [...] in Frage stelle. Geselliges Beisammensein, [...] passive Mitgliedschaft reicht für einen nationalen, interessevertretenden (?) Verein nicht. [...]

Schade, dass VHELS immer kleiner und kleiner und kleiner geschrieben werden muss. In keinem anderen Bereich bestehen so viele Gelegenheiten, für eine liberale Gesellschaft, für Aufklärung und für selbstverständliche Akzeptanz schwul-lesbischer Lebensweisen zu arbeiten, wie im Erziehungs- und Bildungsbereich. An der Tatsache 'Arbeit' kommen wir aber nicht vorbei, besonders im Schulwesen, [...]."

So war es nur konsequent, dass ein Traktandum der Vorstandssitzung vom 19. November 1994 in Bern hiess "Sollen wir die VHELS auflösen?" Dazu aus dem Protokoll:

"Die Vorstandsmitglieder sind überzeugt, dass unser Verein auch heute und in Zukunft eine Bedeutung hat. Bestärkt wird diese Meinung durch das kürzlich eingetroffene Hilfegesuch eines jungen Heimlehrers, dem nach der Bekanntgabe seiner Homosexualität die Kündigung angedroht wurde. Röbi Berger und ein weiteres VHELS-Mitglied unterstützen den Hilfesuchenden. Natürlich ist der Erfolg einer solchen Unterstützung beschränkt, doch es zeigte sich immer wieder, dass schon die Existenz eines Vereins wie die VHELS eine gewisse Wirkung hat.

Gewisse Aktivitäten im Verein sind in den letzten Jahren verschwunden, so z.B. die Teilnahme an den ILGA-Konferenzen und die Pflege von persönlichen Kontakten zu Mitgliedern von ausländischen Vereinigungen mit gleichgelagerten Zielen."

Man entschloss sich mit 5 Stimmen gegen eine Enthaltung zur Fortführung des Vereins mit seinen "fast achtzig Mitgliedern" und wollte für die Mitgliederversammlung 1995 ein attraktives Rahmenprogramm zusammenstellen und zuvor einen "Aufrüttelbrief" versenden.

Diesen Brief verfasste Bernhard Rüegger Mitte März 1995. Er setzte die Anrede "Liebes Mitglied der VHELS - Wo bist du?" Darin hiess es unter anderem:

"Du bist froh, dass es diesen Verein gibt, und Du bezahlst treu und pünktlich Deinen Mitgliederbeitrag, aber, das ist nicht genug, [...]. Mir hat in den vergangenen Jahren oft gut getan zu wissen, dass da und dort im Land auch noch einer ist, der unter ähnlicher Flagge fährt wie ich. Das Schicksal löscht ab und zu einen dieser Leuchtpunkte für immer aus. Grund genug für die Bleibenden, einander Signal schwulkollegialer Solidarität zu sein!"

Die Mitgliederversammlung fand am 20. Mai 1995 in Bern statt. Es wurde deutlich: Die VHELS war in einen Teufelskreis geraten. Aids hatte etliche der initiativsten Mitglieder aus der Gründerzeit hinweggerafft. Die errungenen Fortschritte mit der geglückten Revision des StGB 1992 und mit der Gründung des professionell geführten Dachverbandes Pink Cross ein Jahr später, mit vielen neuen schwulen Freizeitgruppen, die wie Pilze aus dem Boden schossen, all das hatte den ursprünglichen Dauerdruck auf jeden "Einzelkämpfer" im schulischen Umfeld so spürbar verringert, dass man nun überhaupt keinen Druck mehr wahrnehmen wollte. Man wollte endlich seine Freizeit unbeschwert geniessen und lockende Angebote konsumieren.

Eine zwar aktive, aber kleine VHELS mit wichtigen und weit in die Zukunft weisenden Zielen war kein Ort mehr, an dem man sich einsetzen und emanzipatorische Knochenarbeit leisten mochte. Grosses musste und konnte jetzt durch andere starke Gruppierungen angegangen werden, die auch politisches Gewicht hatten. Initiative Kräfte, die es durchaus gab, schlossen sich diesen Organisationen an. Die Idee VHELS konnte vielleicht dort integriert weiter bestehen, in anderer Form.

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Ernst Ostertag, September 2007

Quellenverweise
1

Bulletin der VHELS / OSEEH, 3/1993, Seiten 16 und 17