1979/1980

Brief an den Papst

Ein offener Brief der IGA

In der Januar-Nummer (hey 1/1980) stand der Titel "Kritik am Papst" über zwei Briefen.1 Der erste war ein Offener Brief der International Gay Association IGA an Papst Johannes Paul II. Daraus sei hier zitiert (zum zweiten Brief s. "Stellungnahme aus Boldern"):

"[...] In einer Rede, gehalten in Chicago am 5. Oktober 1979, erklärten Sie, der moralische Standpunkt der Kirche bleibe unverändert und homosexuelle Handlungen seien weiterhin verboten. [...]

Eine Priesterschaft, die freiwillig auf den vollen Ausdruck ihrer Gefühle verzichtet hat, ist jedoch nicht berechtigt, durch Gebot oder geistige Erpressung den gleichen Verzicht auch von den homosexuellen Mitgliedern ihrer Kirche zu fordern. [...]

Wir weisen darauf hin, welch grosse Verantwortung die römisch-katholische Kirche und ihre Führer gegenüber den Millionen von Homosexuellen auf der ganzen Welt haben.

Homosexualität ist für 5-10% der Weltbevölkerung eine Wirklichkeit des Lebens. Es ist darum höchst unverantwortlich, diese Wirklichkeit mit zweitausendjährigen Klischeevorstellungen übertünchen zu wollen, mit Vorurteilen, die das heutige Verständnis vom Wesen des Menschen gröblich ausser acht lassen.

[...] Das Elend der Homosexuellen in der Vergangenheit ist der ablehnenden Haltung der Gesellschaft gegenüber ihren homosexuellen Mitgliedern entsprungen, einer Haltung, die Sie in so unglücklicher Weise gefördert haben durch Ihre unerbittlichen und herzlosen Worte in Chicago. [...]

Der Weg der Homosexuellen in die Gaskammern und die medizinischen Experimentierräume der Nazis war gepflastert mit frommen Gemeinplätzen von Kirchenführern.

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass die Zeiten, da Homosexuelle sich wie Lämmer zur Schlachtbank führen liessen, im Jahr 1969 mit Stonewall zu Ende gegangen sind.

[...] Es ist nicht länger weder allgemein noch intellektuell gerechtfertigt, Argumenten mit der rohen Gewalt umfassender Verdammung zu begegnen. Wenn Sie wirklich den homosexuellen Männern und Frauen innerhalb und ausserhalb Ihrer Kirche etwas bedeuten wollen, dann erlauben wir uns, Ihnen zu raten, sich uns gegenüber in sozial verantwortlicher Weise zu verhalten. Das tun Sie nicht, wenn Sie uns die Last grundloser Schuld aufbürden oder uns auffordern, einen wesentlichen Teil unserer Persönlichkeit zu verleugnen.

Die Rechte der homosexuellen Männer und Frauen sind Menschenrechte und ihre Erfüllung ist ein unerlässlicher Bestandteil der sozialen Gerechtigkeit, für die Sie sich in so bewegenden Worten eingesetzt haben. [...]"

Nach oben

Ernst Ostertag, April 2007

Quellenverweise
1

hey, Nr. 1/1980, Seite 14 ff. Deutsche Übersetzung von Carl Diethelm