1983
Negative Beispiele
...aus den USA und Deutschland
Natürlich gab es auch Meldungen mit Sensationsgehalt und Angstverbreitung. Aber sie bezogen sich hauptsächlich auf Berichte aus anderen Ländern und wollten möglicherweise aufrütteln: So nicht! Je nach geistiger Reife der Leser vermittelten diverse ausländische Blätter dieselbe Botschaft oder eben Verunsicherung, Ängste, Hass. Der SonntagsBlick vom 19. Juni 1983 titelte:1
"Hexenjagd auf 'AIDS'-Kranke in Amerika"
mitsamt dem Bild eines grimmigen Polizisten mit einer Gesichtsmaske in der Hand und der Legende darunter:
"Eine Maske setzen US-Polizisten den 'Aids'-Kranken auf"
Daraus eine Passage:
"Groteske Formen nimmt in den Vereinigten Staaten die Angst vor der neuen, bisher noch unheilbaren Krankheit 'AIDS' an: Bestattungsunternehmer weigerten sich, eine 'AIDS'-Leiche einzubalsamieren, Tontechniker wollten einem an 'AIDS' Erkrankten aus Angst vor Ansteckung bei einem Fernseh-Interview kein Mikrofon umhängen!
Nick Crane, Vorsitzender der 'AIDS'-Stiftung in San Francisco, kommt denn auch zum Schluss: 'Inzwischen werden AIDS-Kranke behandelt wie früher die Pest- und Leprakranken.' Denn als in New York ein 'AIDS'-Infizierter vor den Schranken des Gerichts stand, tagten Richter und Geschworene mit Operationsmasken, die Zuschauer wurden des Saales verwiesen! Und ein 24jähriger Mann, der sich angesteckt hatte, wurde von seinen Eltern gar auf die Strasse gesetzt! [...]"
An fast allen Kiosken der Schweiz lag die Ausgabe des deutschen Magazins Der Spiegel vom 6. Juni 1983 auf, unübersehbar mit dem Report-Titel
"Homosexuellen-Seuche"
auf zehn Seiten, aufgelockert mit zehn Seiten Werbung.2 Darin gab es Schlimmes: Ausdrücke wie "Schwulen-Krebs", "Lustseuche des 20. Jahrhunderts" und die Aussage eines Berliner Bakteriologen
"Der Herr hat für die Homosexuellen immer eine Peitsche bereit".
Und das stand in oder neben Passagen klar orientierender Berichterstattung, welche jedoch hier und dort unterbrochen war von ebenso klar diffamierenden Auswüchsen:
"Während es der deutsche Heterosexuelle durchschnittlich im ganzen Leben nur auf drei bis vier Sexualpartner bringt, schaffen viele Homosexuelle das Hundertfache. Die meisten bislang an Aids Erkrankten gehören zu dieser Gruppe [...]. Tausend Intimpartner - tausend verschiedene - innerhalb von drei Jahren gelten den amerikanischen Aids-Ärzten keineswegs als Spitzenleistung. [...]"
"Während nur sechs Prozent der heterosexuellen Bevölkerung irgendwann im Leben an ansteckender Gelbsucht (infektiöser Hepatitis) erkranken, erwischt der Hepatitisvirus mehr als 90% aller Homosexuellen. Ihr Durchseuchungsgrad liegt, wie Blutuntersuchungen beweisen, auch bei anderen Infektionen, etwa Syphilis, beträchtlich über dem Durchschnitt… [...]"
"In Kanada ruft die erzkonservative Elterngruppe 'Positive Parents' seit Wochen zum totalen Boykott aller Restaurants auf, in denen Homosexuelle auch nur bedienen. Homo-Saunas und -Badehäuser sollen von Amts wegen geschlossen werden. [...]"
Ernst Ostertag, August 2007
Quellenverweise
- 1
SonntagsBlick, 19. Juni 1983, Seite 7
- 2
Der Spiegel, 6. Juni 1983, Nr. 23