1984

Zurück zur Moral?

Ist das Prävention?

Monogam lebende Freundespaare galten als vor Aids geschützt. Das "ideale Freundespaar" des KREIS, sollte es wieder Mode werden? Vieles deutete - noch relativ versteckt - auf ein "Zurück zu Sitte und Moral!" hin, wenn auch nur aus Gründen der Prävention.

Aber diese Vorstellung trägt die gefährliche Illusion in sich, "feste Freundespaare" würden stets monogam leben. Sie stützt sich zudem auf die Illusion, ein Leben in "Sitte und Moral" entspreche der menschlichen Natur und könne darum bis zum Tod makellos und ohne plötzlich ausbrechende Exzesse durchgezogen werden. "Sitte und Moral" ist keine sicher greifende Prävention.

Vor einer solch simplen Denkart warnte unter anderem auch ein längerer Artikel im Magazin des Tages-Anzeigers vom 1. Dezember 1984.1 Sein Verfasser war Nicolas Broccard und die Überschrift lautete "Aufgebauscht oder bagatellisiert? AIDS in der Schweiz". Dazu hatte Peter Meier als Ressortchef Kultur des Tages-Anzeigers ein Editorial verfasst, dem er den Titel "Zurück zur guten alten Moral?" gab. (Peter Meier, 1938-2013, war als Rainer Reiner Redaktor im club68, Nrn. 9-12/1968.) Aus dem letzten Abschnitt:

"Eine ruhige, vernünftige Diskussion über mögliche Vorsorgemassnahmen sollte geführt werden können, ohne dass gleich von Panikmache oder Diskriminierung die Rede sein muss. [...] Bedenklich scheinen mir Tendenzen, aus AIDS moralisch-ideologisches Kapital zu schlagen, wie sie sich in den USA Ronald Reagans oder auch in der Bundesrepublik Helmut Kohls unübersehbar manifestieren. Diesen neokonservativen Politikern, die gern die gute alte Zeit mit ihren angeblich noch intakten Werten verherrlichen, könnte die 'neue Lustseuche', wie AIDS in solchen Kreisen gern etikettiert wird, in ihr saubermännisches Konzept passen, nach dem freiere, lockerere Sitten ohnehin ins Chaos führen, während die traditionelle Kleinfamilie als Hort und Bollwerk patriotischer Tugenden gilt. Diese Weltsicht [...] findet im AIDS-Phänomen einen Quasibeleg. Krankheit erscheint dann plötzlich wieder als 'Geissel Gottes' - ein mittelalterlicher Begriff, den wir uns 1984 nicht zu eigen machen sollten."

Ernst Ostertag, August 2007

Quellenverweise
1

Magazin, Nr. 48 des Tages-Anzeigers, 1. Dezember 1984, Seite 38 ff