1982/1983

Schwulenpresse und Aids

Reaktionen

Hätte uns Aids 20 Jahre früher getroffen, als die Repression auf dem Höhepunkt stand und mehrheitsfähig war, als der KREIS starb und es keine schwule Organisation mit klaren Emanzipationszielen gab: es wäre zur Ausgrenzung gekommen mit gefährlichen Folgen für alle, für die gesamte Bevölkerung.

Die Älteren wussten noch von der Ausbreitung der Syphilis in den 50er und 60er Jahren und vom "Basler Modell" der Überwindung jener Gefahr durch Zusammenarbeit von organisierten Schwulen (Isola und KREIS) mit den Gesundheitsbehörden. Sie erinnerten sich klar und schmerzlich an das "Zürcher Modell" mit seinen Razzien im Milieu, den Zwangstests auf Polizeistationen, und sie wussten, dass die Neuansteckungen im damaligen Zürich ungebremst weiter zunahmen. Jede Wiederholung eines "Zürcher Modells" musste verhindert werden. Zusammenarbeit, wie seinerzeit in Basel, war der einzig einzuschlagende Weg. Dessen waren sich auch viele Ärzte bewusst.

Die globale Aids-Situation heute zeigt überall dort epidemieartige Züge, wo streng strukturierte, meist undemokratische Regimes herrschen oder fest in Traditionen verankerte Gesellschaften bestehen, in denen Sexualität mit Tabus belegt ist. Aufklärung und Prävention kann dort nur langsam und meist nur punktuell geschehen. Die Folgen sind tragisch.

Dass es bei uns in der Schweiz von Anfang an anders verlief, ist den Schwulenorganisationen, dem selbstlosen enormen Einsatz einzelner ihrer Führungspersönlichkeiten, dem Engagement von betroffenen Schwulen ebenso wie von Ärzten, dem instruierten Pflegepersonal und vielen Verantwortlichen in Gesundheitsbehörden zu danken.

Diese und weitere Zusammenhänge lassen sich aus Artikeln und Diskussionen in der damaligen Schwulenpresse aufzeigen.

Ernst Ostertag, August 2007