1997
WoZ und Beobachter
… vor der Demonstration
In der Wochenzeitung (WoZ) schrieb Sonja Matheson über "Keine Rechte in der Verfassung", und ihr Artikel war illustriert mit dem Bild eines Schwulenpaares samt Kind.1 Die Legende dazu:
"Sollte die sexuelle Orientierung Einzug in den Diskriminierungsartikel der neuen Bundesverfassung finden, so befürchtet Bundesrat Koller die automatische Erlaubnis der Heirat von Gleichgeschlechtlichen. Was wäre daran schlecht?"
Eine Reportage mit Berichten von Betroffenen: "Prügel für Schwule, Hiebe für Lesben" brachte Michael Krobath in der Zweiwochen-Zeitschrift Beobachter (Auflage über 300'000), verbunden mit einem Hinweis auf Beratungsstellen für Opfer und auf die Demonstration vom 31. Mai 1997 in Bern:2
"Es gibt Tage, an denen Urs. H. seine Unterlippe und sein Kinn nicht mehr spürt. Die Fühllosigkeit wird bleiben. Bis ans Lebensende.
Es geschah im August 1996. In einer warmen Nacht befand sich der 30-jährige Geschichtsstudent auf dem Heimweg. Plötzlich tauchen zwei Männer aus der Dunkelheit auf. Wortlos packt ihn der eine und schlägt ihm mit voller Wucht ins Gesicht. Urs taumelt zurück, sinkt zu Boden und erhält einen weiteren Schlag auf den Hinterkopf. Dann verschwinden die Männer im Dunkeln.
Resultat des Überfalls: ein doppelter Kieferbruch, bleibende Schäden.
Die Täter wollten kein Geld. Ihr Motiv war ein anderes. Sie bestraften Urs H. dafür, dass er Männer liebt. Ort des Verbrechens war ein Zürcher Park, der nach Einbruch der Nacht zum Schwulentreffpunkt wird.
Gewalt gegen männliche Homosexuelle gehört in der Schweiz zum Alltag. 'Die meisten kennen einen Betroffenen oder wurden selbst schon einmal tätlich angegriffen', erzählt Urs H. Nur in besonders brutalen Fällen erfährt die Öffentlichkeit davon. So etwa vom Überfall auf einen Schwulen, der 1989 in Basel von einer Gruppe von Jugendlichen bei lebendigem Leib angezündet und lebensgefährlich verletzt worden war.
Zu wie vielen Gewalttaten gegen Schwule es wirklich kommt, weiss niemand genau. Statistiken gibt es nicht. [...] 'Die Dunkelziffer ist hoch', sagt Karl Rössler von der Zürcher Beratungsstelle 'Männliche Opfer sexueller Gewalt'. 'Oft wird keine Anzeige erstattet. Die einen fürchten sich vor der Polizei, die anderen glauben nicht daran, dass die Täter je gefasst werden.' Auf Wunsch der Betroffenen begleitet Karl Rössler die Opfer zur Polizei, hilft ihnen bei Versicherungsfragen oder hört ihnen einfach zu. Rössler: 'Viele leiden jahrelang unter den Folgen der Gewalt. Sie ziehen sich zurück, können nicht mehr arbeiten.'
Dass die Angriffe gegen Schwule nicht nur im Schutz der Dunkelheit stattfinden, musste Reto L. erfahren. Als der 22-jährige Informatikstudent am Coming-out Tag (COD) vom 11. Oktober 1996 Handzettel verteilte, kam im Zürcher Niederdorf ein Passant auf ihn zu. 'Was macht ihr für Blödsinn, geht doch nach Hause', schimpfte dieser. 'Der ist aber spiessig', murmelte Reto zu seinem Freund. Der Passant hörte das und flippte aus. Mit der Stirn zertrümmerte er Retos Nase. Dann tauchte er in der Menge unter. Die Nase ist nach der Operation zwar wieder heil, die Angst ist aber geblieben. Reto getraut sich nicht mehr, in der Öffentlichkeit einen Mann zu umarmen. [...]"
Ernst Ostertag, Mai 2008
Quellenverweise
- 1
Sonja Matheson, Wochenzeitung (WOZ), Nr. 22, 30. Mai 1997, Seite 31, "Keine Rechte in der Verfassung"
- 2
Michael Krobath, Beobachter, 11/1997, Seite 36 ff, "Prügel für Schwule, Hiebe für Lesben"