1988

Hearing: MStG

16. August

In seinem Referat fuhr Rolf Trechsel fort und wandte sich nun dem Hauptproblem der homosexuellen Handlungen im Militär zu:

"Eine Verführung zu Homosexualität als Anlage oder als 'Gewohnheit' ist nicht möglich, zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben das klar bewiesen. Ich möchte hier nur den Speijer-Report Niederlande, den Wolfenden-Report Grossbritannien und den Report des Kinsey-Instituts 1978 erwähnen [...].

Es scheint mir nun nicht die Aufgabe des Gesetzgebers zu sein, Soldaten sozusagen vor sich selber zu schützen, vorausgesetzt natürlich, dass ihre Handlungen im gegenseitigen Einvernehmen geschehen und niemanden stören. [...] Wenn schon im Zivilen die Sittlichkeit, bzw. die körperliche oder psychische Integrität durch gleichgeschlechtliche Sexualität auf freiwilliger Basis nicht mehr als bedroht betrachtet wird, dann kann dies im Militär nicht plötzlich anders gesehen werden. Denn Sittlichkeit ist ein unteilbares Rechtsgut.

[...] Zurückzuweisen ist auch die Behauptung, es werde bei der Aufhebung des Verbotes zu einer Lawine von gleichgeschlechtlichen Kontakten im Militär kommen. Dies wird in der Schweiz ebenso wenig der Fall sein wie in der Bundesrepublik Deutschland, wo das Verbot 1969 fiel und nicht wieder eingeführt wurde. [...]

Wenn wir nun also die 'Gefährdung der Sittlichkeit' als Argument für das Verbot verneinen, bleibt noch ein weiteres Argument, jenes der Disziplinstörung. Der Bundesrat begründet denn in seiner Botschaft das Verbot auch ausschliesslich damit, dass homosexuelle Beziehungen mit der militärischen Disziplin unvereinbar seien. [...]

Wenn wir [...] davon ausgehen, dass Homosexualität kein sittliches, sondern ein Disziplinproblem für die Armee darstellt, dann stellen sich automatisch zwei Fragen:

  1. Stellen gleichgeschlechtliche Handlungen in jedem Falle ein Disziplinproblem dar, sodass sie generell verboten werden müssen?
  2. Können nur homosexuelle und nicht auch heterosexuelle Handlungen ein Disziplinproblem darstellen?

[...] Werden wir ganz konkret: Ein Rekrut trifft im Ausgang seinen Freund und betätigt sich sexuell. Ist in diesem Fall die Disziplin bedroht? Mir scheint, sie ist es ebenso wenig, wie wenn Rekruten oder Soldaten im Ausgang sich mit ihren Freundinnen [...] sexuell vergnügen.

Ein anderer Fall: Zwei homosexuelle Rekruten betätigen sich sexuell in der Mittagspause an einem stillen Ort. Ist die Disziplin dadurch gestört?

Die Beispiele sind durchaus nicht an den Haaren herbeigezogen. Homosexuelle werden aus bekannten Gründen in der Regel ihre sexuellen Beziehungen so diskret wie möglich gestalten.

[...] Ein nicht unberechtigter Sturm der Entrüstung würde ausbrechen, sollte man die heterosexuellen Handlungen im Militär verbieten, nur weil auch dort, was ja durchaus zutrifft, Gefährdungen der Disziplin denkbar sind.

[...] Es sind, beispielsweise in den Stäben, bei denen auch die Mitglieder des Militärischen Frauendienstes eingeteilt sind, sehr wohl Situationen denkbar, bei denen durch heterosexuelle Handlungen die Disziplin nachhaltig gestört und [...] die offizielle Hierarchie ins Wanken geraten könnte.

Der Art. 157 Abs. 1 ist also zweifach falsch abgegrenzt: Er betrifft fälschlicherweise alle gleichgeschlechtlichen Beziehungen, auch solche, die die Disziplin nicht bedrohen, und er betrifft unrichtigerweise nur gleichgeschlechtliche Handlungen.

Offenbar betrachtete man bei den heterosexuellen Handlungen das Disziplinarrecht und konkreter die Auffangtatbestände am Schluss des Militärstrafrechts als durchaus genügend, um Disziplinstörungen zu begegnen. [...] Unser Vorschlag ist also, dieselbe Regelung für die gleichgeschlechtlichen Handlungen zu treffen und den ersten Absatz Art. 157 zu streichen.

Nun zum Absatz 2 [...]: Er verfolgt die Ausnützung der militärischen Stellung [...]. Es erscheint uns sinnvoll, hier einen starken Riegel zu schieben. Doch [...] warum die Begrenzung auf die Homosexuellen? Warum soll beispielsweise eine Angehörige des [...] Frauendienstes diesen gesetzlichen Schutz nur gegenüber einer Lesbe geniessen und nicht auch gegenüber ihren männlichen Kollegen? [...] Wir schlagen vor, den Terminus 'einer Person gleichen Geschlechts' mit [...] 'einer anderen Person' zu ersetzen, ihn also [...] 'neutral' zu fassen.

[...] Die Änderung des Art. 157 hätte zudem Wirkung über die Justiz hinaus. Gesetze spiegeln nicht nur gesellschaftliche Realitäten wieder, sie wirken auch in die Bevölkerung zurück. Eine gesetzliche Ungleichbehandlung einer Minderheit wirkt festigend auf die Vorurteile in der Bevölkerung, auch wenn dies vielleicht gar nicht die Absicht ist.

[...] Ein Entscheid Ihrer Kommission [...] kann ein Zeichen setzen; sie kann mit einer strafrechtlichen Gleichsetzung sowohl den weiblichen und männlichen Homosexuellen [...] wie der übrigen Bevölkerung zeigen, dass der Gesetzgeber die gleichgeschlechtliche Sexualität genauso respektiert wie jene der Mehrheit.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit."

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Ernst Ostertag, April 2008