1993

Warum dieses Spektakel?

Auf Seite 4 des Programmheftes zum 7. Europäischen SchwuLesbischen Chorspektakel äusserte sich der schmaz-Leiter, Karl Scheuber, zur Überschrift "Warum dieses Spektakel?" und setzte zuerst als Motto den Ausspruch von Hans Georg Nägeli, Schweizer Komponist, "Chor- und Liedervater" (1773-1836):

"Nehmt Scharen von Menschen, nehmt sie zu Hunderten, zu Tausenden, versucht es, sie in humane Wechselwirkung zu bringen, wo jeder einzelne seine Persönlichkeit sowohl durch Empfindung als auch durch Wortausdruck freitätig ausübt, wo er sich seiner menschlichen Selbständigkeit und Mitständigkeit auf das intuitivste und vielfachste bewusst wird, wo er Liebe ausströmt und einhaucht - habt ihr etwas anderes als den Chorgesang?"

Dann fuhr Karl Scheuber fort:

"[...] Für das bisher südlichste und damit hoffentlich wärmste Chortreffen der schwul-lesbischen Szene haben sich 19 Chöre angemeldet, vier davon aus der Schweiz, die anderen aus der Bundesrepublik Deutschland, aus England, Frankreich und den Niederlanden.

Als wir vor zwei Jahren nach dem gelungenen 6. Schwul-lesbischen Chorfestival in Hamburg, schüchtern-mutig für das nächste Treffen nach Zürich einluden, waren wir uns des Wagnisses bewusst. Doch was in Hamburg entstanden war, sollte unserer Meinung nach auch in Zürich möglich sein. Unser Auftritt in Luzern am nationalen Chorfest 1991 lag ja eben hinter uns, die Auseinandersetzung darüber, ob wir mit vollem Namen in Zürichs Tonhalle, die den 'grossen' Kulturereignissen vorbehalten ist, auftreten dürften, hatte noch nicht begonnen.

[...] Mit Freude stellen wir fest, dass das erste europäische schwul-lesbische Chortreffen nach der verlorenen EWR-Abstimmung1 in der Schweiz stattfindet; was auf politischer Ebene nicht gelang, kommt immerhin auf kulturellem Gebiet zustande: ein Treffen von Menschen über trennende Grenzen hinweg.

Zürich bietet sich als traditionsreicher Ort für Chorfeste geradezu an mit Namen wie Friedrich Hegar, Othmar Schoeck und Volkmar Andreae, die Zürichs grosse Chöre geleitet haben. Nicht zu vergessen 'Sängervater' Hans Georg Nägeli, der in pädagogischer, gesellschaftspolitischer und musikalischer Hinsicht für Zürich (und die Schweiz) von grösster Bedeutung war."

Nach oben

Ernst Ostertag, Juni 2008

Anmerkungen
1

An dieser Volksabstimmung vom 6. Dezember 1992 wurde der Beitritt der Schweiz zum EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) knapp abgelehnt mit 50,3% Nein gegen 49,7% Ja.