Newsletter 43

Juli 2013

Diese Ausgabe enthält folgendes Thema: 

  • Kolumne: Bartholomé Tecia und andere wunde Punkte

      

Bartholomé Tecia und andere wunde Punkte

eos. Aus seiner wohl San Francesco-gleichen inneren Freiheit hat Papst Franziskus das Thema Schwulenlobby im Vatikan aus dem Tabu geholt.

Vielleicht hat er damit bewusst und durchaus im Geist seines Vorbildes den Finger auf jenen wunden Kern gelegt, der in den frühchristlichen Konzilien geschaffen wurde: Die Spaltung der natürlichen Liebesgefühle in geregeltes Tun zur Fortpflanzung und sündhafte Sinnenlust. Diese Spaltung schafft Macht über die Menschen. Ihre "Sünden" können vergeben werden. "Verstockte" leben ausserhalb der Ordnung und gelten als Ketzer, denen Strafe droht.

Homosexuelle können nicht anders, ihr Liebesgefühl schafft keine Fortpflanzung. Sie erfüllen Norm und Ordnung nicht. Daher die Mühe der Kirche(n) mit aktiv gelebter Homosexualität, wenn sie anerkannt statt bestraft wird. Gibt es Homosexuelle innerhalb der kirchlichen Organisation(en), muss das verschwiegen werden. Daran hat nun der Papst gerüttelt.

Homosexuelles Tun wurde mit Beschlüssen jener selben frühchristlichen Konzilien geächtet. Als Vorwand zur Ächtung diente das theologische Konstrukt der "Sünde Sodoms". Dieses Urteil prägte unter dem oströmischen (christlichen) Kaiser Justinian erstmals ein weltliches Strafgesetz. Das war im Jahr 534. Und darauf stand der Tod durch Verbrennen analog zum "Feuer Gottes", das die Stadt Sodom vernichtete (1. Mose Kp. 18, 19). Diese Straftat blieb zwölf Jahrhunderte lang in nachfolgenden Gesetzen bestehen und forderte das Leben von Zehntausenden, meist auf dem Scheiterhaufen. Nach heutiger Auffassung waren sie gleichgeschlechtlich liebende, unschuldige Menschen.

Auch die Reformation änderte daran nichts. So denunzierten 1566 im calvinistischen Genf zwei Mitschüler ihren 15jährigen Kollegen Bartholomé Tecia wegen "widernatürlichen Annäherungen". Es kam zu Verhaftung, Folter und Todesurteil über den begangenen "horrible et détestable crime de sodomie" (entsetzlichen und abscheulichen Tatbestand der Sodomie). Sofort erfolgte die Vollstreckung durch Ertränken in der Rhone "en exemple aux autres qui tels cas voudraient commettre" (zur Ermahnung all jener, die dergleichen Taten begehen wollen).

Genau 447 Jahre später, am 10. Juni 2013, konnte auf Initiative der NETWORK Regionalgruppe Genf eine Gedenktafel an der Hinrichtungsstelle eingeweiht werden, am Rhone-Ufer bei der Corraterie. Dies geschah im Beisein von Medienvertretern an einer schlichten, würdigen Zeremonie. Anwesend waren die Bürgermeisterin der Stadt Genf, der Regierungspräsident des Kantons Genf und eine Vertreterin des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte. Einzig die Église protestante de Genève weigerte sich, der Einladung Folge zu leisten mit der Begründung (in einem Schreiben an NETWORK Genf), es sei "une instrumentalisation de l'histoire, tant la transposition d'une situation de société et pas seulement d'Église ne nous semble pas adaptée" (eine unangepasste Instrumentierung der Geschichte, wenn eine gesellschaftliche Situation als eine nur die Kirche betreffende gesehen werde).

Mehr dazu:

Wie kam es zur Ächtung?
Ächtung und Gesetzgebung
Kommentar

Dem jungen Bartholomé Tecia soll später ein Text in der schwulengeschichte.ch gewidmet werden. Material dazu ist vorhanden.