Kommentar
Ertränken in Genf 1566 und Welle von Hinrichtungen in Zürich um 1682
In allen Fällen von Verurteilungen wurde - offenbar bis mindestens zur Schwelle des 19. Jahrhunderts - der Angeklagte als Verbrecher gegen Moral und Sitte gesehen und zuvor bis ins 18. Jahrhundert als so schwerer Sünder und Ketzer, dass die Todesstrafe verhängt und ausgeführt werden musste.
Viele Autoren bemerken jedoch, dass vom Gesetz vorgesehene Höchststrafen nur relativ selten vollzogen wurden. Der Vollzug sei von verschiedenen Faktoren abhängig gewesen, etwa, ob ein weltliches oder geistliches Gericht den Prozess führte, ob ein gestrenger oder milder Herrscher oder Vogt regierte und ob zur "widernatürlichen Ketzerei" noch andere Umstände kamen, politische etwa, wie bei Ritter Richard von Hohenburg (Verbrennung in Zürich) oder religiöse wie bei der Ertränkung des 15-jährigen Schülers Batholomé Tecia 1566 in Genf und bei den Hinrichtungen in Zürich um 1680:
"Sodomitenverfolgung in Zürich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts".
Unter diesem Titel hat Thomas Lau die Verfolgungswelle mit Enthauptungen beschrieben und dokumentiert.
"Sieben Tote innerhalb eines Monats"
im Jahre 1682,
"spiegelt das Sündenverständnis der reformierten Theologen wider, die den Abfall von Gott als das Eindringen einer Krankheit in einen reinen Leib verstanden. Sünden glichen diesem Standpunkt zufolge Epidemien, die durch das Entfernen des Krankheitsherdes bekämpft werden mussten."
Erschienen ist sein Aufsatz im Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten, Invertito, 2009, Männerschwarm Verlag Hamburg, S. 8-21
Eine besonders extreme Hinrichtung erfolgte 1565 auf der Kyburg (ZH). Das Opfer war ein elfjähriger Knabe.
Text aus hey 5/1981, S.19: "Ein elfjähriger Knabe, der Sodomie beschuldigt, wurde im Juni 1565 in Kyburg unter Ausschluss der Öffentlichkeit erhängt. In der Chronik steht: 'Der Scharfrichter setzte ihn im Turm auf ein Stühlchen, legte ihm den Strick um den Hals, und der Gerichtsdiener zog ihn schnell am Folterseil hinauf. So starb er.' Originalzeichnung Zentralbibliothek Zürich."
Fakt aber bleibt:
- Gleichgeschlechtliche Handlungen waren so sehr mit Tabus und schwersten Sanktionen belegt, dass jede einzelne in jedem Fall existenzgefährdend war.
- Jedes unter Anklage wegen "Sodomie", also wegen ketzerisch-unzüchtigem Tun ausgegesprochene und vollstreckte Todesurteil war und blieb das vollständige Auslöschen eines Menschen, auch im Gedächtnis seines vorherigen Umfeldes. Das Thema war so stark tabuisiert, dass ein solches Urteil auch die ganze Familie und die Bekannten des Gerichteten traf und damit Unschuldige mitbestrafte.
- Das "eher selten" des Vollzugs ist ein Beweis der Willkür, die diesem Gerichtssystem zugrunde lag.
- Auch durch das ganze 20. Jahrhundert gab es Zeiten "eher häufiger" und sogar verschärfter Anwendung. Beispiele sind u.a. die Hitler-Diktatur und diktatorische Regimes oder "Gottesstaaten" bis heute.
Ernst Ostertag, September 2006, ergänzt August 2010
Weiterführende Links intern
Bartholomé Tecia und andere wunde Punkte, Newsletter 43, Juli 2013