Newsletter 62

Februar 2015

Diese Ausgabe enthält folgende Themen: 

  • Kolumne: Maskenball: Röbi und Ernst erinnern sich
  • Zum Spielfilm "Unter der Haut": Spätes Erwachen
  • Warnung vor der neuen Safari-Version 8

   

Maskenball: Röbi und Ernst erinnern sich

eos. Wer den KREIS-Film gesehen hat, weiss, wie Schwule vor 60 Jahren Feste feierten. Zur Fastnachtszeit allerdings ging es um einiges wilder zu und her. Mann setzte Maske auf und verwandelte sich in ein anderes Wesen. Inkognito kam ein sonst verborgenes Ich ans Licht und tanzte frei und froh. Es entrann dem Alltagszwang. Und erlebte manche Überraschungen.

Im Gedicht konnte es so tönen:

Tief im Herzen die Tragödie,
Zu den Menschen kühl und klug,
Und so spielen wir Komödie
Bis zum letzten Atemzug.

Zweierlei Realitäten. Wie alltäglich und dominierend dieser schizophrene Zwang war, das ist Schwulen von heute kaum mehr bewusst.

Damals freute man sich schon an Weihnachten auf die Maskenzeit im Februar/März und ganz besonders auf den Ball im KREIS. An vielen Orten im Alpengebiet gehen Traditionen des Vertreibens dunkler Geister, des Bannens böser Mächte bis weit in die vorchristliche Zeit zurück. Man wollte sich und die Umgebung reinigen und auf das Erwachen des Frühlings, auf eine wärmere, lichte Zeit des freien Entfaltens vorbereiten. Es lag Hoffnung drin in den vielfachen Vorarbeiten zum Maskentreiben - und auch die Freude auf ungebremste Selbstdarstellung.

Röbi und Ernst erinnern sich:

Im Januar 1957, kaum hatten wir uns richtig kennen gelernt, trafen wir im KREIS Kameraden aus der Romandie. Einer rief: "Voilà, les deux frères tapettes!" Eine nicht sehr freundliche Bezeichnung von Schwulen in ihrer Sprache, hiess es, aber "unter uns" sei das durchaus liebevoll gemeint. Damit hatten wir das Motto für unseren Auftritt am Maskenball. Wochenlang bestand das Freizeitprogramm aus Basteln. Röbi mit Mama schneiderte die violetten T-Shirts mit hellgrünen Händen drauf und zwei roten im Schritt der Strumpfhosen quasi als cash-sex. Denn auf Französisch heisst taper so viel wie schlagen, klatschen, tippen; auf Schweizerdeutsch aatöple, darum die Hände. Ich formte und kleisterte derweil die Papiermaché-Masken. Dann bemalten wir sie gemeinsam. Am Ende kam das Bepinseln mit flüssigem Wachs. Es war das erste Gemeinschaftswerk. Wir hatten enorm viel Spass. Gerade rechtzeitig zum Ball vom 2. März war alles fertig in grosse Taschen verpackt, und wir zogen los in die "Eintracht" am Neumarkt, wo wir uns rasch in einer Ecke umzogen, die Mäntel an der Garderobe deponierten und sicher waren, es hatte uns niemand erkannt. Dann ging's zum Saal hinauf ins Getümmel. Um Mitternacht die Prämierung, wir gewannen den ersten Preis als Paar, und bei der Demaskierung war die Überraschung perfekt.

Einige Jahre später erzählte uns ein Kamerad vom jährlich stattfindenden, damals weit herum bekannten grossen Künstler-Maskenball im Zürcher Kongresshaus. Dorthin, mitten in die kostümierte Heti-Welt, hätten wir uns nie getraut, aber der Kamerad schwärmte vom Künstler-Kehraus. Dieser Anlass sei viel offener und richtig lustig auch für unsereiner. Er fand schliesslich eine Gruppe von fünf Kameraden, der wir uns anschlossen. Das war am 12. März 1962. Die KREIS-Bälle gab es seit zwei Jahren nicht mehr, leider. Für dieses Mal wollte Röbi als altägyptischer Prinz mit Perücke und langem Gewand unmaskiert, aber stilecht geschminkt auftreten, während ich mich zur alten Frau mit Maske, Hut, grossem Busen und Korb voller Kunst-Rosen wandelte; mein Motto hiess "Last Rose of Summer", so stand es auf den Korb geschrieben. Wir gingen also einzeln, als Paar getrauten wir uns nicht, in der Gruppe von Freunden fühlten wir uns wohl. Und tatsächlich, es gab viel Spass für uns, besonders mit etlichen Heterosexuellen, die ihr Geschlecht vertauscht hatten, aber so, dass es leicht zu durchschauen war. Röbi hatte mächtig Erfolg und wurde oft zum Tanz geholt, von Männern natürlich. Alle sahen hinter dem Prinzen die schöne Frau, kaum einer merkte den Betrug - und die es durchschauten, brachten ihn mit einer schalkhaften Bemerkung zurück an unsern Tisch. Einmal, auf Röbi wartend, bat mich ein älterer Mann zum Tanz, und Arm in Arm schritten wir zur weiten, offenen Mitte. Nach den ersten Drehungen wollte ich ihn aufklären, doch er sagte, ich weiss, dass du ein Mann bist, deswegen holte ich dich. Dabei schob er seine Halbmaske nach hinten. Es war der Stadtpräsident persönlich, Emil Landolt, den jeder kannte. Wir unterhielten uns über dies und jenes, Belanglosigkeiten, er genoss den Tanz offensichtlich und beim Zurückbegleiten seiner "Letzten Rose" sagte er, du hast einen charmanten Freund, heb em Sorg! Stapi Landolt, das war noch ein echter Freisinniger.

1948 gab es im KREIS den ersten Maskenball ausschliesslich für Abonnenten und ihre Gäste:

Erster Maskenball

Wer wissen möchte, wie es 1935 an der Fasnacht in Zürich zu und her ging, zu einer Zeit, als noch jeder homosexuelle Akt unter Männern per Gesetz verboten war, hier ist der Bericht aus dem Schweizerischen Freundschafts-Banner (FB):

Fasnachtsball 1935

  

Zum Spielfilm "Unter der Haut": Spätes Erwachen

jb. Ein aufmerksamer Nutzer der schwulengeschichte.ch schickte uns vor einigen Monaten seine ausführliche Autobiografie. Er schildert darin, wie er im Verlaufe des Lebens von der wahren Natur seines sexuellen Begehrens eingeholt wird: Aus dem vermeintlichen Familienglück mit Frau und Kindern nach einer heterosexuellen Sozialisation wird er in die raue Wirklichkeit seiner Sexualität und seines Sehnens zurückgeworfen - er verliebt sich in Männer und kann nur noch mit ihnen sexuelle Erfüllung finden. Die nahezu gleiche Geschichte erzählt die Schweizer Regisseurin Claudia Lorenz in ihrem ersten langen Spielfilm "Unter der Haut", allerdings nicht aus der Sicht eines betroffenen Mannes, sondern mit den Augen der Ehefrau und der drei Kinder unterschiedlichen Alters.

Der Blitz trifft die Frau aus heiterem Himmel. Hilflos steht sie vor den Trümmern ihrer Ehe. Ihr Vorschlag für eine Liaison zu dritt wirkt wenig überzeugend. Auch für den Mann ist eine sexuelle Dreier-Kiste keine Option, da er eine neue Welt entdeckt hat, die er nicht mehr mit seiner Frau teilen kann. Das Ehebett wird zum Symbol für die Krise dieses Paares: Wo sich früher die zwei kuschelnd in den Schlaf gewiegt haben, bleibt eine einsame und am Boden zerstörte Frau zurück. Das Bett, das zu Beginn des Films von den Angestellten der Umzugsfirma ins Schlafzimmer getragen wird, muss am Ende entsorgt werden, da es nach über 18 Jahren Ehe ausgedient hat. Die Kinder reagieren unterschiedlich auf das Auseinanderbrechen des Familienglücks: Der pubertierende Sohn, der selber die erste Liebesenttäuschung meistern muss, begegnet dem Entscheid seines Vaters mit moralischer Abscheu. Die Tochter tut, was in solchen Situationen zu tun ist: Sie stellt ihre sturzbetrunkene Mutter unter die Dusche und nennt sie eine Heulsuse. Die jüngste Tochter versteht nicht, was hier eigentlich vorgeht, und sie ist die einzige, die den Vater nicht ganz verliert.

Der unspektakuläre Film mit dem etwas missverständlichen Titel "Unter der Haut" erzählt dieses Familiendrama mit stimmungsvoll aufgeladenen Bildern und langsamem Tempo. Er lässt dem Zuschauer Zeit und Raum, um in die Geschichte hinein zu tauchen und auf seine eigenen Gefühle zu achten. Glücklicherweise fehlen Larmoyanz und aufgesetzte Melancholie. Realitätsnähe und Authentizität des Familienalltags zeichnen den Film aus, nicht nur in den Bildern und Szenen, sondern besonders auch in den ungemein stimmigen Dialogen, die den ausgezeichneten Darstellern (Ursina Lardi und Dominique Jann als Elternpaar) über die Lippen kommen. Als Aussenstehender mag sich der Zuschauer oder die Zuschauerin die berechtigte Frage stellen, warum es so lange gedauert hat, bis der Mann seine Homosexualität entdeckt hat. Auch die eingangs zitierte Autobiografie stellt den Konflikt der Betroffenen in den Mittelpunkt: Das so sorgsam aufgebaute und gehütete Familienglück zerbricht, weil sich ein Ehepartner nicht so entwickeln konnte, wie es seiner bisexuellen Natur eigentlich entspräche. Das ist offenbar noch immer eine gar nicht so seltene Realität bei Frauen und Männern - und deshalb reflektiert der Film von Claudia Lorenz auch eine gesellschaftliche Realität, die wir eigentlich als überwunden geglaubt oder einfach ausgeblendet haben.

Der Film von Claudia Lorenz (Produktion: Peacock-Film) erlebte an der Eröffnungsfeier der 50. Solothurner Filmtage des Jahres 2015 seine Premiere und erhielt damit eine herausgehobene Schweizer Plattform. Die Aufnahme des Filmes bei Kritik und Publikum war mehrheitlich freundlich. Ende Februar 2015 soll der Film in die Schweizer Kinos kommen.

  

Warnung vor der neuen Safari-Version 8

sbj. Ein aufmerksamer User hat uns auf einen gravierenden Fehler im neuen Browser Safari aufmerksam gemacht:

Die Version 8.0.x von Safari (MAC OS X 10.8+) enthält einen neuen bug, der bewirkt, dass die Seitennavigation in der Website schwulengeschichte.ch nicht mehr sichtbar ist. Es empfiehlt sich, zu einem 2.0 konformen Browser wie FireFoxOpera und Chrome zu wechseln.

Da diese fehlerhafte Version von Safari auch auf dem iPhone und Android Smartphones vorinstalliert ist, empfieht es sich, auch in diesen Geräten einen anderen Browser (App) zu installieren.