Newsletter 81
Oktober 2016
Dieser Newsletter enthält folgendes Thema:
- Der Befreiungsschlag von 1966
Der Befreiungsschlag von 1966: Erstes Jahr des Conti-Clubs
eos. Nach acht Jahren Repression und sechs Jahren ohne Clublokal gelang dem KREIS 1966 ein Befreiungsschlag. Er konnte in der Stadt Zürich einen Raum mieten, darin einen Club einrichten und ein zweitägiges Eröffnungsfest feiern. Die Gestaltung erfolgte nach eigenen Plänen durch ein kleines Team von Abonnenten, und eine KREIS-interne Clubmannschaft übernahm die Führung. Sogar tanzen durfte man wieder, denn es gab keine Reaktion seitens der Polizei. Offenbar stillschweigend hatte die Stadt das Tanzverbot von 1960 fallen gelassen. Vielleicht schämte man sich darüber. Dazu äussern mochte sich niemand. Die beim Verbot besonders aktiven Stadträte Albert Sieber (FDP, Polizeiamt) und Adolf Maurer (SP, Finanzamt) sassen noch immer auf ihren Posten, sahen aber die Zusammenhänge jetzt vermutlich anders.
Egal. Vorläufig herrschte grosse Freude. Jeder wollte etwas beitragen. Wir erinnern uns gut an diese Zeit, Röbi Rapp und Ernst Ostertag. Der Raum war gross, umfasste den ganzen obersten Stock eines Geschäftshauses an der Köchlistrasse. Die Einteilung in Garderobe, Vorratskammer, Küche, den eigentlichen Clubsaal mit Sitz- und Tanzflächen samt kleiner Bühne, alles musste selber organisiert, hergestellt und eingerichtet werden. Ein Abonnent stiftete die Vorhänge, andere kümmerten sich um Stühle oder Bänke, um Tische samt hübschen Tüchern drauf, das Geschirr, die Gläser, Abwaschutensilien und nicht zuletzt auch Aschenbecher, denn damals wurde noch überall hemmungslos gepafft. Etliches kam aus Auktionen und Brockenhäusern, anderes von privater Seite, aus Schränken und Schubladen von Abonnenten. Bilder von Rico, des aus den Kreis-Heften wohlbekannten Künstlers und Grafikers Enrique Puelma, schmückten die Wände. Ein Kamerad schenkte die ganze Tonanlage und montierte sie auch gleich selber. Zu allerletzt sorgte das Geschäft eines Floristen, dessen Patron natürlich ebenfalls zum KREIS gehörte, für den grossartigen Blumenschmuck.
Verkauf und Ausschank von Alkohol war laut Gesetz nicht gestattet. Zumindest anfänglich musste jeder auch alle übrigen Getränke und Snacks selber mitbringen, wobei der Vorratsraum als Depot für Wein, Bier und andere Kostbarkeiten diente. Ein Geschäft war nicht zu machen, der Club blieb auf Spenden angewiesen. Das funktionierte recht gut. Ende Jahr war der Mietzins für die nächsten zwölf Monate beisammen. Man war wieder eine Familie geworden, voller Elan, Hoffnung, Einsatzfreude.
Trotz der Grösse kamen die Raumverhältnisse aber nie an jene im Neumarkt-Theater heran. Aufwendige Festlichkeiten wie früher blieben unrealisierbar. Das war den Verantwortlichen von Anfang an bewusst. So entschloss sich die KREIS-Leitung zu einem zweimaligen Eröffnungsfest für das Wochenende vom 5. /6. Februar 1966 und lud am Samstag die Zürcher, am Sonntag alle anderen Abonnenten zum je gleichen Programm ein. Der Club war voll, doch herrschte kein lästiges Gedränge, jeder fand Einlass und niemand musste im Treppenhaus oder unten auf der Strasse warten.
Noch am Ende desselben Monats gab es einen Maskenball. Darauf freuten sich alle riesig. Zusammen mit einigen Freunden durchwühlten wir Röbis Theaterfundus und zogen als verwegen bunte Schar zum Club, der bald aus allen Nähten zu platzen drohte. Als es zu heiss und eng wurde, begannen viele einfach draussen durch die Strassen und Gassen zu schlendern; es war ja überall Fasnacht, wir fühlten uns frei und endlich ganz enthemmt. Die Jahre der Angst und der Verfolgungen waren weit entfernt und vergessen. Gegen Mitternacht zurück im Club stand die Prämierung an, gefolgt vom Ablegen der Masken, sofern das nicht bereits geschehen war. Für Momente schien alles so zu sein wie früher – doch dann wurde uns wieder bewusst: Es fehlten das Sprachengewirr der Kameraden aus aller Welt, das Verbundensein um den halben Erdball, die Grösse des KREIS.
Im Mai wollte Röbi wieder einmal Cabaret spielen. Schliesslich gab es im Conti-Club ein kleines Bühnenpodest und einen Flügel. Wir stellten ein Programm aus alten Chansons und einigen stets aktuellen Sprechnummern zusammen und übten es mit Karl Meier / Rolf ein wie seinerzeit vor neun und mehr Jahren. Es war eine Freude und wir hatten viel Spass. Der Auftritt gelang, Röbi gekonnt oben auf den Brettern, Nico Kaufmann am Flügel und ich geduckt auf einem Schemel dahinter als Souffleur; einen schützenden Vorhang gab's ja nicht. Einmal mehr war ein kleines Stück alte Heimat zurückgekehrt.
Eine Weihnachtsfeier liess sich unser "Rolf" nicht nehmen. Sie war schlanker, bewusst einfacher als früher, aber ebenso eindrücklich. Ohne richtige Bühne war an ein Theaterstück oder Krippenspiel nicht zu denken. Er aber fand etwas Passendes an Theatertext und schuf daraus eine Art Hörspiel, ein Gespräch der heiligen drei Könige über das, was sie bei ihrer langen Reise erwartet hatten und was sie schliesslich vorfinden, also etwas ganz Anderes, Armes, Hilf- und Wehrloses, angesichts dessen ihre Geschenke unnütz scheinen. Klärend greift ein Engel ins Gespräch ein. Die Sprecher trugen keine Kostüme, sie waren Menschen von heute, einer davon Karl Meier selbst, einer Röbi und dazu noch ein anderer Kamerad; einzig ihre Sprache und das, was sie sagten, hob sie ab. Meine Stimme als Engel war zuvor aufs Tonband aufgenommen worden; sie kam nun aus dem Off und hatte gerade deswegen eine besondere Präsenz. Es wurde eine Stunde des Feierns und des Dankes dafür, dass dieses Zusammensein wieder möglich war. Keiner hatte die leiseste Ahnung, dass der KREIS im Oktober des folgenden Jahres sein Ende finden würde.
Mehr zum Conti-Club hier und in den nachfolgenden Kapiteln: Conti-Club
Mehr zum Tanzverbot in Zürich
Mehr zum Künstler Enrique Puelma
Mehr zu Karl Meier
Mehr zum Pianisten Nico Kaufmann