Newsletter 156

Dezember 2022

Diese Ausgabe enthält folgendes Thema:

  • 50 Jahre HAB (Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern)
  • Zürcher Regierungsratswahlen: Network lädt zur Podiumsdiskussion
  • Bernhard Vogelsanger: Führung durch die aktuelle Ausstellung

50 Jahre HAB (Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern)

eos. Nachdem im Newsletter 147 vom März die 50 Jahre HAZ und in jenem vom Juli (Nr. 151) das halbe Jahrhundert der HABS mit einem geschichtlichen Rück- und Ausblick gefeiert wurden, sind nun die 50 bewegten und bewegenden Jahre der entsprechenden Berner Organisation fällig, denn ihre Gründung erfolgte Anfang Dezember 1972. Auch hier soll es einem Vertreter aus den eigenen Reihen überlassen sein, den Jubiläumstext so zu formen und zu präsentieren, wie er es nach eigenem Ermessen tun möchte.

Es gelang, den Redaktor des im September 2022 erschienenen Buches "50 Jahre bewegt, von den Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern zu hab queer bern 1972 bis 2022" zu gewinnen: Daniel Frey. Von ihm stammt der nun folgende Beitrag. Es ist ein Überblick. Wer mehr zu einzelnen Teilen wissen möchte, kann das erwähnte Buch zur Hand nehmen. Alle Buch-Angaben finden sich auf der Startseite unserer schwulengeschichte.ch.

50 Jahre bewegt

Es war wie bei den HAZ in Zürich und den HABS in Basel der Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der lebt", der schlussendlich am 6. Dezember 1972 auch zur Gründung der HAB in Bern führte.

Nach vielen Jahren des Duckens herrschte in den HAB der 1970er- und 1980er-Jahre Aufbruchstimmung. Allerdings trafen da zwei unterschiedliche Strategien aufeinander. Da waren einerseits die "Radikalen" - in Anführungszeichen -, die auf Konfrontation aus waren, und andererseits die "Bürgerlichen" - ebenfalls in Anführungszeichen. Schlussendlich setzte sich die Meinung durch, "dass wir durch die bestehenden Institutionen müssen, schlimmstenfalls mit zugehaltener Nase", wie Christian Schneeberger sich in der Jubiläumschronik zu 50 Jahre HAB erinnert. "Wir waren sicher, dass wir nur weiterkommen, wenn wir uns mit den Leuten, die das System und die Abläufe prägen, einlassen und probieren, diese so gut wie nur möglich für unsere Interessen einzubinden."

Politik

Anfang der 1980er Jahre begannen Mitglieder der HAB, sich politisch "anzudocken". Hans-Rudolf Huwiler war im Herbst 1983 das erste HAB-Mitglied, das "offen schwul" für den Nationalrat kandidierte - auf der Liste der POCH. Damals war die progressive und noch kommunistische POCH die einzige Partei, die Schwule auf den Wahllisten zuliess. Bereits wenige Jahre später war das anders. Als Beat Meyenberg auf der Liste der SP für den Stadtrat kandidierte, schrieb er in seiner Kurzvorstellung für die Wahlunterlagen, dass er eben Mitglied der Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern sei und Hauptmann in der Schweizer Armee. Christian Schneeberger, Beats langjähriger Partner, erinnert sich: "Da kam der Telefonanruf vom Parteisekretär und dieser bat Beat, ob er nicht den Hauptmann weglassen könne. Bereits war der Hauptmann für die SP das grössere Problem als das Schwulsein."

Betreten auf eigenes Risiko!

Im Rückblick auf die vergangenen 50 Jahre kann zusammenfassend gesagt werden, dass die ersten 20 HAB-Jahre geprägt waren von der Suche nach einem Platz in der Gesellschaft, vom Versuch, sich in die Politik einzumischen und vor allem auch von der Suche nach einem eigenen Lokal.

Ein erster eigener Treffpunkt wurde 1974 nach längerem Suchen im Keller des ISC gefunden (Internationaler Studentenclub der Universität Bern, heute finden hier regelmässig queere Partys statt). Allerdings wurden die HAB bereits nach einem Vierteljahr vor die Türe gestellt und mussten sich erneut auf die Suche nach einem Lokal machen.

1975 wurde die "Klubgruppe" im Parkhaus CityWest fündig - tief unten im 4. Untergeschoss (Eingang neben Kino Club, mit Lift bis zu 3. Untergeschoss, anschliessend via Parkfläche links zum 4. Untergeschoss). Die Freude am Berner ZABI im CityWest dauerte nur gerade ein Jahr, bis die Kündigung eintraf. Im HAB-Info vom Januar 1976 war dazu zu lesen: "Die vom Vermieter, dem Bauunternehmer und Immobilienhändler Wirz, angeführten Kündigungsgründe erscheinen vordergründig. Man wird das Gefühl nicht los, dass die anfänglich gezeigte 'Toleranz' nur eine dünne Schicht über der sonst vorhandenen Ablehnung Schwuler sein mag."

Im HAB-Info vom April 1979 wurde dann hocherfreut vermeldet: "Wir HABen ein Büro!": Die HAB mieteten an der Brunngasse 17 vom Eigentümer – Pfarrer John Schmocker – das "Lädeli" im Parterre mit Türe und Schaufenster auf die Strasse. Die Miete betrug monatlich 150 Franken; die Benutzung des Sääli für politische und ähnliche Veranstaltungen war mietfrei.

Nach einem Um- und Ausbau konnte im Februar 1981 feierlich die "Kaffeestube" eröffnet werden. Die Regeln in der Kaffeestube wurden im HAB-Info vom April 1981 definiert: "Verirrte Heteros sollen zart hinauskomplimentiert werden... Das HAB-Signet an der Türe wird voll ausgeschrieben werden - auch dem letzten Heterotrampel soll klar sein, dass er hier etwas Schwules vor sich hat. Betreten auf eigenes Risiko!"

In ihrem Jahresbericht 1988 notierte die "HAB-Cafégruppe": "Anscheinend ist diese Form von Kommunikation im Berner Schwulenmilieu ein nicht unbedeutendes Bedürfnis." Trotzdem überlegten sich die HAB, sich erneut auf die Suche nach einem Lokal zu machen. "Nicht ein ganzes Haus wird benötigt, ein zentral gelegenes Lokal mit drei bis fünf Zimmern würde genügen", wurden die Anforderungen im Protokoll der HAB-Vollversammlung vom 18. Januar 1989 umschrieben.

anderLand

Die 1990er Jahre in der Geschichte der HAB waren eindeutig vom anderLand geprägt und hatte eine lange Vorgeschichte. Einerseits hatten die HAB klare Vorstellungen bezüglich Lage (möglichst Innenstadt) und Sichtbarkeit (möglichst Erdgeschoss). Zudem durfte das Lokal nicht zu viel kosten. "Bei der Lokalsuche scheiterten wir jedoch nicht primär an diesen Kriterien, sondern an der immer noch weit verbreiteten Homophobie", erinnert sich Lukas Bühlmann in der Jubiläumschronik "50 Jahre bewegt". 

"In der Not wandten wir uns an die Stadt, in der Hoffnung, sie würde uns in einer ihrer vielen Liegenschaften ein bezahlbares Lokal vermieten. Unser Anliegen nach einem schwulen Begegnungszentrum verbanden wir mit dem Begehren nach einer städtisch finanzierten Beratungsstelle für Schwule und erarbeiteten dafür ein Konzept, das wir den städtischen Behörden vorlegten. Vom damaligen SP-Sozialvorsteher der Stadt Bern und späteren Stadtpräsidenten Klaus Baumgartner wurden wir daraufhin zu einem Gespräch empfangen. Gerade euphorisch reagierte er auf unser Anliegen nicht, zeigte aber Gehör und liess dem Gespräch Taten folgen. Die Beratungsstelle wurde schon bald von der Stadt finanziell unterstützt, und für die Lokalsuche verwies er uns an die städtische Liegenschaftsverwaltung. Zu einem Gespräch kam es auch hier. Sehr schnell machte man uns jedoch klar, dass wir nicht mit einem städtischen Lokal rechnen konnten. Stattdessen wurden wir auf die freiwerdende Berner Stadtmühle hingewiesen. So kam es, dass die HAB 1993 in der Matte landete und unter dem Namen 'anderLand' ein schwules Begegnungszentrum eröffnete."

Solidarität war enorm

Der Umbau des Lokals und die Beschaffung der nötigen Einrichtungen erforderten von den HAB-Mitgliedern einen enormen Einsatz. Samstag für Samstag und zum Teil auch unter der Woche waren grosse Gruppen von Freiwilligen im Einsatz. "Das samstägliche Bauen machte in diesem Sinne auch Spass, und die Solidarität war enorm", erzählt Lukas Bühlmann in der Jubiläumschronik. Das Eröffnungsfest am 20. März 1993 war berauschend und sorgte bei vielen, die das Lokal im Dachgeschoss zum ersten Mal betraten, für ein kräftiges "Wow". Nicht wenige bisherige Skeptiker dürften in diesem Moment ihre Bedenken verloren haben. Für die HAB war das anderLand ein Quantensprung, was sich unter anderem in den hohen Besuchszahlen und den in den kommenden Jahren stark steigenden Mitgliederzahlen zeigte.

zuanderLetzt: Auf zu neuen Ufern

13 Jahre nach der feierlichen Eröffnung waren die Tage des anderLand gezählt: Die Gäste blieben aus, die Vermietungen der Räumlichkeiten waren rückläufig. Ein strikter Sparkurs verhinderte einen Konkurs - der Verein war an einen Punkt gelangt, an dem er sich fundamental neu orientieren musste. "Nach emotionalen Gewitter, Tränen des Abschieds, der Erschöpfung, tiefste Traurigkeit, da das anderLand - für viele Heimat - jetzt eben nicht mehr besteht", wie im HAB-Info vom Dezember 2007 nachzulesen ist, stand der Umzug in die Villa Stucki fest. "Ig mah meh" - so tönte es während dem ersten "Znacht" am Mittwoch, 7. November 2007 in der Villa Stucki doppeldeutig - viele der Anwesenden hätten gerne noch zweite Portion des feinen "Mah Meh" gegessen und die Anwesenden waren sich einig auf "no meh" Aktivitäten in der Villa.

Plötzlich wieder politisch

Fast vom Vorstand unbemerkt beschloss der Berner Grossrat ab 2017 den finanziellen Beitrag an die HAB-Beratung komplett zu streichen. Was war bloss aus den "Politschwestern" der HAB geworden, dass dies passieren konnte? Im Februar 2017 wurde deshalb in der Villa Stucki eine Arbeitsgruppe Politik gegründet. Die neue Politgruppe soll sich über Partei- und Organisationsgrenzen hinaus vernetzen und sich im Namen der HAB aktiv in die Stadt- und Kantonspolitik einmischen, Politiker:innen für unsere Anliegen sensibilisieren und Allianzen bilden.

Die HAB werden zur "Transstelle"

Anfang der 2010er Jahre wurden die HAB - die Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern - mit einer Vielzahl aneinander gereihten Buchstaben konfrontiert. Die HAB luden im Mai 2011 zwei trans Personen zu einem "Kamingespräch" ein. Sarah und Henry stellten das im Jahr davor gegründete Transgender Network Switzerland (TGNS) vor und erzählten über ihre Transition.

Bereits im September darauf fand erstmals der Trans-Stammtisch statt, der noch heute als "Trans-Inter-Stammtisch" regelmässig viele Menschen für einen Austausch untereinander anzieht.

Ein weiteres Zeichen der Annäherung an die Buchstaben-Community war im Herbst 2012 die Annahme des Antrages durch die Mitgliederversammlung die "Schwubliothek" in "HAB-Bibliothek" umzunennen, da der alte Name ausgrenze.

Ab 2013 setzten die HAB zudem einen Trans-Beauftragten ein. Damit sollte sichergestellt werden, dass nicht nur gemeinsame Ziele, sondern auch spezielle Trans-Ziele mitgetragen werden. Oder konkret: Sind schriftliche Dokumente nach aussen in der Sprache transinklusiv – etwa durch die Verwendung des Gendergap? Sprechen die HAB ihre Mitglieder geschlechtsneutral an? Muss sich mensch beispielsweise bei der Anmeldung als Vereinsmitglied zwingend als "Herr" oder "Frau" definieren?

Mit dem Einsetzen eines Trans-Beauftragten hätten sich die HAB unter den nationalen und regionalen LGB-Verbänden als Vorreiter gezeigt, sagt heute Henry Hohmann - damals Präsident vom Transgender Network Switzerland - rückblickend. Es sei in den 2010er Jahren besonders wichtig gewesen, dass sich gerade auch regionale Vereine für Trans-Themen engagierten.

Im Mai 2018 wurde Petra Brombacher als erste trans Frau in den Vorstand gewählt und im Mai 2019 erfolgte die Umbenennung der Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern in "hab queer bern". Dabei war und ist es für hab queer bern noch immer wichtig, dass Schwulsein weiterhin als schwul und Transsein weiterhin als trans bezeichnet wird. "Aber wenn es um uns alle geht, die wir als abweichend von der Sexual- und Geschlechternorm wahrgenommen werden, benennen wir uns mit dem Sammelbegriff 'queer'", sagte damals Petra Brombacher zur Namensänderung des Vereins.

Neue Normalitäten

2020 mussten sich hab queer bern an neue Normalitäten gewöhnen: Da war der Umzug von der Villa Stucki in die Villa Bernau und das Coronavirus. Gerade während dem ersten "Lockdown" - als wir uns in die eigenen vier Wände zurückziehen mussten - zeigte sich, wie wichtig die Aufgaben der lokalen Vereine noch immer sind. Wie in den Anfangszeiten der HA-Gruppen wurde vielen bewusst, wie wichtig Begegnungsorte - oder moderner - wie wichtig "Safe Spaces" sind.

Mehr auf schwulengeschichte.ch:
HAB Bern
Ursus Club und HAB-Info
Repressive Kreise

Jubiläumschronik "50 Jahre bewegt - Von den Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern zu hab queer bern 1972 bis 2022"

Die Ju­bi­lä­ums­chro­nik kann via info@habqueerbern.ch bestellt werden zum Nor­mal­preis CHF 35.– oder So­li­preis: CHF 45.– zzgl. Ver­sand­kos­ten.
Mehr Informationen auf www.schwulengeschichte.ch

Über den Autor Daniel Frey

Daniel Frey engagiert sich seit fast 20 Jahren für hab queer bern. Sein erstes Engagement für die queere Community galt von 1994 bis zu dessen Schliessung 1997 dem legendären Berner Ursus Club. Knapp 15 Jahre moderierte er zudem (bis 2018) die Sendung GAYRADIO (heute QueerUp Radio) auf Radio RaBe.

Aktuell setzt sich Daniel Frey vor allem für die Gruppe "schwul60plusminus" ein - überzeugt davon, dass gerade auch die Generation schwuler Männer, die vor 50 Jahren angefangen haben, sich für die "Schwulenemanzipation" einzusetzen, sichtbar bleiben sollten. Denn viele aus dieser Generation fürchten sich vor Einsamkeit und davor, in Wohn- und Pflegeeinrichtungen ausgegrenzt und benachteiligt zu werden. Wer sein Leben lang offen schwul gelebt hat, und sich diese Freiheit hart erkämpft hat, will sich im Alter nicht wieder verstecken müssen.

Zürcher Regierungsratswahlen: Network lädt zur Podiumsdiskussion

hpw. Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger des Kantons Zürich wählen am 12. Februar 2023 die Mitglieder des Kantonsrats und des Regierungsrats neu. Network organisiert am Mittwoch, 18. Januar 2023 um 18.15 Uhr im Blauen Saal des Volkshauses Zürich eine Podiumsveranstaltung, an der fünf Kandidatinnen und Kandidaten für den Regierungsrat teilnehmen. Das Gespräch führt Mario Grossniklaus vom Schweizer Fernsehen SRF. Die Teilnahme ist kostenlos.

Weitere Informationen

Bernhard Vogelsanger: Führung durch die aktuelle Ausstellung

hpw. Am Donnerstag, 19. Januar 2023 um 15 Uhr findet eine Führung durch die Ausstellung "Alles Theater? - Von Pup­pen­büh­nen, Ma­rio­net­ten­büh­nen und Wohn­zim­mer­opern" im Haus Appenzell an der Bahn­hof­stras­se 43 in 8001 Zürich statt. Wichtiger Bestandteil der Ausstellung sind die detailtreu gestalteten Bühnenbilder und Puppen von Bernhard Vogelsanger. Die Führung wird von schwulengeschichte.ch und queeraltern gemeinsam organisiert. Die Unkostenbeteiligung beträgt CHF 10.

Anmeldungen bitte per Mail an christian.wapp-at-queeraltern.ch

Mehr auf schwulengeschichte.ch
Bernhard Vogelsanger: Das Gesamtkunstwerk
Bernhard Vogelsanger: Direktor der "Oper Zürich (Filiale Schwamendingen)", Newsletter 155, November 2022