Newsletter 187

Juli 2025

Diese Ausgabe enthält das folgende Thema:

  • Homosexuelle im Militär - Diskriminierung wird untersucht

Homosexuelle im Militär - Diskriminierung wird untersucht

dbr. Zum ersten Mal in der Geschichte der Schweiz wird mit einem offiziellen Auftrag des Parlaments die Diskriminierung von homosexuellen Männern und Frauen in der Armee erforscht. Nationalrätin Priska Seiler Graf  (SP, ZH) verlangte dies mit einem Postulat vom Bundesrat. Die Universität Bern bekam den Auftrag zu dieser Untersuchung. Der Historiker Philipp Hofstetter gehört zum Forschungsteam. Ich habe mit ihm über den Verlauf der Arbeiten gesprochen.

Der Bundesrat soll einen Bericht über mögliches Unrecht erstellen, das homosexuellen Menschen in der Schweizer Armee zugefügt worden ist. Dies verlangte die Zürcher Nationalrätin und Sicherheitspolitikerin Priska Seiler Graf 2021 mit einem Postulat. Der Bundesrat empfahl das Postulat zur Annahme. Der Nationalrat folgte 2022 dieser Empfehlung. Bundesrätin Viola Amherd, damals Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), wie auch die Schweizer Armee unterstützten diese Aufarbeitung. Nach einer Ausschreibung bekam ein Team des Interdisziplinären Zentrums für Geschlechterforschung  (IZFG) der Universität Bern den Zuschlag.

Vom Artikel 157 des Militärstrafgesetzes...

Im Jahr 1942 erhielt die Schweiz ihr erstes nationales Strafgesetzbuch. Homosexuelle Handlungen wurden damit weitgehend straffrei. Im Militärstrafrecht blieben sie allerdings bis 1992 verboten. Dieser gesetzliche Unterschied hatte Auswirkungen auf die Erfahrungen homosexueller Personen in und mit der Armee.

Der Artikel 157 des Militärstrafgesetzes lautete: "Wer mit einer Person gleichen Geschlechts eine unzüchtige Handlung vornimmt, wird mit Gefängnis bestraft." Alternativen zum Wehrdienst gab es nicht. Viele schwule Männer liessen sich deshalb über den "blauen Weg" psychiatrisch ausmustern, also dienstuntauglich schreiben. schwulengeschichte.ch schreibt im Text über die illustre Gästeschar in der Zürcher Central-Bar: "Auch Edwin Sauter, Spezialarzt für Psychiatrie, gehörte dazu. Von ihm wusste man, dass er Homosexuelle auf dem "blauen Weg" vom Militärdienst befreite. Viele, die sich deswegen an Karl Meier / Rolf wandten, wies dieser an den Kreis-Abonnenten Dr. Sauter." Das Zivildienstgesetz trat erst 1996 in Kraft.

Am 5. Juli 2024 berichtete der Zürcher Tages-Anzeiger über die Lebensgeschichte von Hans-Ulrich Stoller. Er war 1974 in die Rekrutenschule eingerückt: "Es herrschte ein homophobes Klima, schwulenfeindliche Witze wurden gerissen" und weiter: "Ich fühlte mich in dieser feindseligen Umgebung bedroht." Er wurde von einem Psychiater dienstuntauglich geschrieben. Dafür wurde ein spezifischer Code im Dienstbüchlein vermerkt. "NM IV 255. Nosologia-Militaris für 'abnorme sexuelle Veranlagung', wie der Tages-Anzeiger schreibt. Dienstuntauglichkeit war zudem eine kostspielige Angelegenheit. Man bezahlte Wehrpflichtersatz. Dazu kam damals, dass Dienstuntauglichkeit die zivile Karriere behinderte, in vielen Fällen einen Beruf sogar ganz verhinderte.

…bis zum Diskriminierungs-Verbot

2020 stimmte das Schweizer Stimmvolk der Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm auf die sexuelle Orientierung zu, worauf ein entsprechendes Diskriminierungs-Verbot in das Strafgesetzbuch und das Militärstrafgesetzbuch aufgenommen wurde.

Studie "Armee und Homosexualität"

Die beiden wichtigen Jahre 1942 und 2020 bilden deshalb auch den Anfangs- und den Endpunkt der Studie "Armee und Homosexualität" des Berner IZFG. Sie startete 2024 und soll 2027 abgeschlossen werden. Das Forschungsteam steht unter der Leitung von Prof. Dr. Michèle Amacker, Co-Leiterin des IZFG. Dr. Tina Büchler, Lic. Phil Corinne Rufli und Dr. Philipp Hofstetter leiten das Projekt operativ

Philipp ist selbstständiger Historiker und Archivar. Er ist auch Vorstandsmitglied des Vereins Schwulenarchiv Schweiz. Zudem hat er selbst das Militär als Soldat absolviert. Er erläutert die Entstehungsgeschichte des Projekts:

"Die Fachstelle Frauen in der Armee und Diversity (FIAD) hat das Projekt ausgeschrieben, sie ist auch unsere Ansprechpartnerin. Das Interdisziplinäre Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG) hat den Auftrag wohl bekommen, weil wir ein sehr gutes Dossier entwickelt haben, die nötigen Ressourcen mitbringen und mit einem wissenschaftlichen Beirat arbeiten, den wir immer wieder für Fragen hinzuziehen können. Wir haben bei der Zusammenstellung des Forschungsteams auch darauf geachtet, dass sämtliche Sprachregionen abgedeckt sind. Inhaltlich gehen wir so vor, dass wir sowohl Archivmaterial auswerten wie auch Gespräche mit Betroffenen und weiteren Zeitzeugen sowie mit Fachpersonen aus Wissenschaft, Armee und zivilgesellschaftlichen Organisationen führen."

Befragungen sind für das Projekt von zentraler Bedeutung. Es wird nämlich befürchtet, dass sich die Archivrecherche komplex gestalten wird. Es sollen Ereignisse bis 2020 untersucht werden, doch Dokumente aus den späteren Jahren sind oft noch gesperrt. Ebenso ist zu erwarten, dass aufgrund der Tabuisierung des Themas vieles nicht oder nur codiert schriftlich festgehalten wurde. Die Herkunft von archivierten Materialien erklärt Philipp so:

"Wir konzentrieren uns auf das Bundesarchiv, denn die Armee liefert alle ihre zu archivierenden Unterlagen dort hin. Wichtig für uns sind Akten der Militärjustiz, denn bis 1992 gab es den Strafartikel 157, der homosexuelle Handlungen in der Armee verbot. Dieses Verbot führte lange dazu, dass Menschen verurteilt wurden. Diese Fälle schauen wir uns sicher an, aber auch weitere Straffälle, in denen Homosexualität eine Rolle spielte. Das sind vor allem Akten des sogenannten Oberauditorats. Das ist die Gerichtseinheit in der Armee, die eine gewisse Unabhängigkeit hat. Diese Akten werden wir von 1942 bis Anfang 1990er-Jahre studieren und auswerten.

Weiter schauen wir uns auch an, was bei der Musterung oder Ausmusterung passiert ist. Wir wissen, dass viele Homosexuelle gar nicht in die Armee aufgenommen wurden. Fraglich ist nur, ob in den Dokumenten dazu Aussagen zu finden sind. Ebenso werden wir die Förderung von Armeeangehörigen untersuchen. Wie liefen die Prozesse ab? Spielte Homosexualität eine sichtbare Rolle? Schliesslich erforschen wir auch Diskriminierung im Alltag. Dazu finden wir wahrscheinlich im Archiv wenig, das erfahren wir wohl mehr aus Interviews.

In unserer wissenschaftlichen Arbeit geht es nicht darum, was gut oder schlecht war. Eine Bewertung der Vorkommnisse ist nicht unser Ziel, sondern eine möglichst genaue Dokumentation von dem, was vorgefallen ist. Das Militär hat uns seine Unterstützung zugesichert und wir spüren diese bisher auch. Wir sind mit vielen unterschiedlichen Stellen im Gespräch, das gibt uns eine gute Basis, die selten in einem Forschungsprojekt vorzufinden ist."

Verschiedene Ansätze, gute Zusammenarbeit

Dies ist ein anderer Ansatz als derjenige, den der Verein QueerOffficers verfolgt, dessen Geschichte ich in den letzten Monaten für die Website schreiben durfte. QueerOfficers will sichtbar machen, was homosexuelle Menschen in der Armee erleben und dort, wo Bedarf ist, Veränderungen bewirken. Sie sind Teil der Armee und gehören meist zum Kader. Der Verein stand bis vor einigen Jahren nur Offizieren und Unteroffizieren offen. Sie haben die Möglichkeit von innen heraus und zusammen mit relevanten Führungspersonen Prozesse in Gang zu setzen und Veränderungen anzuregen oder einzufordern. Als Teil der Organisation, mit der sich QueerOfficers auch identifiziert, läuft der Verein aber auch Gefahr, eine gewisse (Betriebs-)Blindheit für relevante Dinge zu entwickeln. Das Team der universitären Studie hingegen will die Ereignisse von aussen betrachten, den Blick weiten und mit standardisierten Forschungsmethoden Fakten sammeln.

Philipp betont, dass es nicht darum gehe, dass die eine oder andere Arbeit "richtig" oder "besser" sei. Es seien zwei Ansätze, zwei Möglichkeiten, Probleme sichtbar und damit behandelbar zu machen:

"Wir sind mit den QueerOfficers in einem guten Kontakt und werden von ihnen unterstützt. Letztlich ist es auch in ihrem Interesse, dass wir diesen Fragen wissenschaftlich nachgehen. Die Feststellungen der Studie werden auch der Arbeit der QueerOfficers helfen."

Auf schwulengeschichte.ch beschreiben wir im Kapitel "Schwul im Militär - QueerOfficers Switzerland" die Veränderungen, die von QueerOfficers initiert wurden. Zum jetzigen Zeitpunkt kann noch nicht beurteilt werden, wieweit die laufende Studie Veränderungen bewirkt. Sie sind aber auf jeden Fall erwünscht. Der Auftrag des Projektteams geht jedenfalls über die Feststellung von Diskriminierung hinaus. Er beinhaltet auch die Frage, ob aus Sicht der Betroffenen eine Wiedergutmachung angezeigt ist und schliesslich sollen Empfehlungen ausgearbeitet werden, wie künftige Diskriminierungen aufgrund der sexuellen oder geschlechtlichen Identität verhindert werden können.

Aufruf an Betroffene

Das Projektteam gelangte früh an die Öffentlichkeit. Philipp erklärt warum:

"Anders als bei anderen Themen wie etwa Missbrauch in der Kirche oder bei der administrativen Versorgung von Menschen wird über das Thema Armee und Homosexualität erst jetzt gesprochen. Es war bis vor kurzem ein grosses Tabu. Menschen mit belastenden Erfahrungen brauchen oft viel Zeit, bis sie sich für ein Gespräch melden, besonders wenn dieses stark tabuisiert ist. Die Strategie scheint erfolgreich zu sein, denn es wurden bereits viele Interviews geführt. Natürlich sind auch weiterhin Gesprächspartner willkommen, gerade wenn sie für uns wichtige Erlebnisse zu erzählen haben. Wir gehen aktuell  bei der Suche gezielter vor, wir achten nun mehr auf bestimmte Altersgruppen oder Sprachregionen, die noch untervertreten sind - wie zum Beispiel das Tessin. Da suchen wir noch Betroffene. Für die Interviewpartner ist wichtig zu wissen, dass sie nicht mit dem Militär sprechen, sondern mit neutralen Personen, die strengen Datenschutzbestimmungen unterliegen. Die Interviewpartner melden sich selbst bei uns."

Veränderte Weltlage - Drohen Rückschritte?

Ich spreche Philipp auf sich verändernde weltpolitische Umstände an, etwa die Rückschritte, die queere Armeeangehörige in den USA durch die Trump-Administration erleben. Er hebt die Unterschiede zur Schweiz hervor und ist optimistisch:

"Die Schweiz ist nicht Amerika. Heute versteht die Schweizer Armee Diversität als Ressource. Vor 2000 wurde sie mehrheitlich als Problem betrachtet. Diversität in der Armee, und damit sind auch andere Bevölkerungsgruppen, nicht zuletzt die Frauen, gemeint, gewann in den letzten 20 Jahren an Wert. Sie wurde als Bereicherung der Gesellschaft, auch der Arbeitswelt angeschaut. Von diesem Weg wird man hoffentlich nicht mehr abkommen, auch wenn wir noch lange nicht am Ziel sind.

Natürlich ist uns bewusst, dass wir mit der Studie nur Empfehlungen abgeben können. Was anschliessend damit geschieht, können wir nicht beeinflussen. Der darauffolgende politische Prozess wird zeigen, ob und wie konkrete Verbesserungen geschehen werden. Ich bin aber optimistisch. Die Verbesserung der Situation von Homosexuellen in der Armee ist nicht einfach ein Anliegen der Linken, das von rechts bekämpft wird. Es ist meiner Meinung nach weniger ein parteipolitisches Phänomen, sondern eher ein gesamtgesellschaftliches Anliegen. Es gibt auch in rechten Parteien Menschen, die eine Öffnung wichtig finden. Diskussionen in der Schweiz werden zum Glück weniger polemisch geführt als an anderen Orten. Ich glaube, dass die Gesellschaft erkannt hat, dass es nicht allein um Minderheiten geht, sondern dass diese Diskriminierung alle angeht, zum Beispiel auch Frauen und Frauen sind bekanntlich keine Minderheit in der Gesellschaft."

Gespanntes Warten auf die Resultate

Ich bin auch aus persönlichen Gründen gespannt auf die Resultate dieser Studie. Denn wie fast jeder männliche Schweizer habe ich eigene Erfahrungen mit der Armee gemacht. Sie sind bei mir mit gemischten Gefühlen verbunden. In einer Zeit, in der nahe Kriege uns die Dringlichkeit der Verteidigung vor Augen führen, ist die Auseinandersetzung damit auf alle Fälle wichtig.

Die Armee ist gerade in der Schweiz mitten in der Gesellschaft verankert. Alle Menschen sollen sich an allen Aspekten der Gesellschaft beteiligen können, ohne Diskriminierung und Ausgrenzung. Dieses Idealbild gilt es vor Augen zu haben. Die Studie wird zeigen, wie weit wir davon entfernt waren und in Teilen noch sind. schwulengeschichte.ch wird sicher über die Befunde der Studie berichten, wenn 2027 der Bericht vorliegt.