Sonderstatus

Missachtung des mündigen Menschen bis heute

Eklatante Beispiele für kompromisslose Diskriminierung bietet die römisch-katholische Kirche genug: Systematisch werden Erkenntnisse der Humanwissenschaften, besonders in Bezug auf Homosexualität, ignoriert und Standpunkte vertreten, die seit 80 und mehr Jahren als überholt gelten. Stur wird an der Beurteilung homosexueller Akte als Vergehen gegen das Gebot der Keuschheit festgehalten. Auch die aktive Einflussnahme auf Politiker wird fortgesetzt etwa, wenn es um Partnerschaftsgesetze und gleiche Rechte für Homosexuelle geht.

So erliess die Kongregation für die Glaubenslehre unter Kardinal Joseph Ratzinger am 3. Juni 2003

"Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung"

von gleichgeschlechtlichen Paaren (Partnerschaftsgesetz):

"Der katholische Parlamentarier hat die sittliche Pflicht, klar und öffentlich seinen Widerspruch zu äussern und gegen den Gesetzesentwurf zu votieren. Die eigene Stimme einem für das Gemeinwohl der Gesellschaft so schädlichen Gesetzestext zu geben, ist eine schwerwiegend unsittliche Handlung."

Eine Organisation mit Anspruch auf Weltgeltung schafft grosse Konfliktfelder, wenn sie auf solche Weise argumentiert und ihre Anhänger unter Druck setzt. Das Bezeichnen dieser Gesetze als schädlich für das Gemeinwohl ist aber vor allem ein absolut untolerierbarer Affront gegenüber den Millionen von Menschen, die weder katholisch noch christlich sind. Dazu sagt der Schweizer Psychologe Kurt Wiesendanger1:

"So lässt sich zusammenfassen, dass die Diskriminierungen, die von kirchlicher Seite ausgingen und ausgehen, in ihrem quantitativen Ausmass horrend und in ihren qualitativen Dimensionen schlicht menschenverachtend sind."

Mit der Instruktion vom 29. November 2005 schloss die römisch katholische Kirche unter Papst Benedikt XVI (Joseph Ratzinger) jede Möglichkeit einer Ordination zum Priester aus, wenn es sich um Männer mit "tief sitzenden homosexuellen Tendenzen" handelt und überdies um solche, die "eine homosexuelle Kultur unterstützen".

Das monarchische Prinzip der vatikanischen Kirche kennt keine echte Gewaltentrennung. So war diese Organisation seinerzeit auch vehemente Gegnerin bei der gesellschaftlichen Realisierung und Durchsetzung weiterer Grundsätze des Humanismus, etwa der Erklärung der Menschenrechte, der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der Presse- und Meinungsfreiheit. Jetzt ist sie noch Gegnerin auf dem einzigen ihr verbliebenen Feld, der Gleichberechtigung homosexueller Menschen.

Andererseits, als oberster Chef eines multinationalen Konzerns für Organisation, Inhalt und Ausübung einer bestimmten Form von Religiosität hat der Papst natürlich das Recht, Kriterien der Eignung seiner Mitarbeiter zu erlassen und durchzusetzen (wie beispielsweise die zölibatäre Lebensführung der ausschliesslich männlichen Priester). Diese Kriterien folgen einer ideologischen, systemimmanenten Sichtweise. Offenbar entstehen der Kirche grössere Probleme, wenn schwule Priester dem Drang des Fleisches folgen, als wenn "vaterlose" Priesterkinder bei alleinstehenden Müttern aufwachsen. Und der Ausschluss homosexueller Priester bewahrt unter diesen Umständen junge schwule Männer davor, einen scheinbar "guten" Weg zu beschreiten, auf dem sie später unaufhaltsam in grosse Spannungen geraten. Daran sind schon viele wertvolle Menschen zerbrochen.

Denn die noch immer aktuelle katholische Anleitung für gleichgeschlechtlich Liebende lautet:

         "Die Homosexuellen sind aufgerufen zur Keuschheit."

Röm.-kath. Weltkatechismus, 1992

Einem multinationalen Konzern unwürdig ist hingegen die Begründung der Anstellungsverweigerung: Homosexuelle Menschen könnten "nicht zur affektiven Reife" gelangen, das heisst, sie seien in der Entwicklung ihres Gefühlslebens zurückgeblieben, weswegen ihnen die Fähigkeit abgehe, "korrekte Beziehungen zu Männern und Frauen zu pflegen".

Diese Behauptung verunglimpft und verletzt nicht nur viele noch im Amt stehende Priester, sondern sämtliche homosexuellen Männer und Frauen weltweit. Sie ist als arrogante Form von Rassismus schärfstens zurückzuweisen, weil sie auch zutiefst unmoralisch ist. Denn sie ermöglicht einmal mehr jenes gefährliche Verengen des Bewusstseins bei Anhängern des Papstes und vielen anderen, das in der Geschichte zu Anschlägen auf Leib und Leben, zu Verfolgungen und Vertreibungen führte. Diese enorme Verantwortung müsste eine "Weltkirche" wahrnehmen.

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Ernst Ostertag, Dezember 2005

Weiterführende Links intern

Partnerschaftsgesetz

Quellenverweise
1

Kurt Wiesendanger: Schwule und Lesben in Psychotherapie, Seelsorge und Beratung, 2001, Seite 110.