Der Uranier vor der Schrift

Zweiter Teil

Eingangs

"warnt er [...] vor Buchstabentreue: Wer mit starren dogmatischen Begriffen [...] herantritt, läuft Gefahr, den edlen reinen Text so zu verunstalten, dass er alle entscheidende Kraft verliert. Die Bibel ist eben ein Unikum unter den Büchern, man darf nie sich selbst in dieselbe hineinlesen. Ein Geist durchzieht sie von der Genesis bis zur Apokalypse, und wer sich nicht demütig diesem Geist unterstellt, kommt in Versuchung, seine vorgefasste Meinung in dieselbe hineinzulesen, anstatt sein Urteil an derselben zu bilden. Es folgt die Entkräftung sämtlicher aus der Heiligen Schrift herauszulesenden - vermeintlichen - Verdammungen und Verurteilungen"

homosexuellen Verhaltens.

Wirz begann folgerichtig mit dem Alten Testament und der Geschichte von Sodom.

"Auf mehr als zehn Seiten begründet er detailliert, dass Grund und Ursache für die Vernichtung [...] die allgemeine Verworfenheit und Frivolität der Sodomiter gewesen seien. Die Sünden Sodoms mit der Homosexualität gleichzusetzen, sei daher reine Willkür. Nachdem er in ähnlichem Stil alle weiteren Passagen erklärt hatte, beendete er die Untersuchung des Alten Testaments mit der Feststellung: Es findet sich keine Stelle in demselben, welche den Uranismus verdammt."

Zum Neuen Testament stellte er einleitend fest,

"es sei kein einziges Wort aus Jesu Munde bekannt, womit er unsere Frage entschieden hätte. [...] Jesus habe sowieso um das Geschlechtsleben kein so grosses Aufheben gemacht wie die Schriftgelehrten und Pharisäer. Sodann wendet sich Wirz dem gefürchteten Paulus zu und dem Brief dieses Apostels an die Römer. [...] Wirz' Fazit könnte deutlicher nicht ausfallen: Paulus die Absicht unterschieben, dass er den Uraniern ein anderes, strengeres Gesetz für ihr Geschlechtsleben als den Heterosexuellen habe auferlegen und sie um der Betätigung ihrer natürlichen Liebe willen zur Steinigung, zum Scheiterhaufen oder zum Gefängnis in diesem Leben verurteilt, im Jenseits ewig verdammt wissen wollen, das hiesse doch seine Worte nicht auslegen, sondern verdrehen, die eigene Intoleranz dem Apostel unterschieben und den zu einem christlichen Ungeheuer stempeln, der in geschlechtlichen Dingen so milde Toleranz übte wie sein göttlicher Meister."

"Wirz endet seine Studie mit den Worten: Ich schliesse, indem ich der festen Überzeugung Ausdruck gebe, der Uranier habe sich nicht gegen die heilige Schrift zu verteidigen, nicht gegen eine einzige Stelle derselben, nur gegen eine althergebrachte Auslegung. Die heutige Christenheit steht dem Heidentume ferne, [...] Paulus aber wie Moses lebten mitten in jener argen Welt und eiferten für die Reinhaltung des Volkes Gottes von allen dämonischen Einflüssen. Indem ich mich in die Lage der beiden Gottesmänner hinein zu versetzen versuche, glaube ich den richtigen Sinn der in Frage kommenden Abschnitte gefunden zu haben. Der Versuch, diese Aufgabe im klaren Bewusstsein meiner Verantwortung vor Gott anzugehen, sei ein Akt der Anerkennung für das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee gewesen." (Zitate nach Beat Frischknecht)

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Ernst Ostertag, Juni 2006

Weiterführende Links intern

Geschichte von Sodom, Sodom und Gomorra