Hirschfeld und Wirz

Besuche, Austausch, Nachruf

In seiner Arbeit über Wirz zitiert Beat Frischknecht aus dem Buch "Von einst bis jetzt"1 auch Hirschfeld und dessen letztes Zusammentreffen mit dem Theologen und Geschichtsforscher:

" 'Oft kam Wirz im Sommer und Herbst zu kurzen Erholungsbesuchen nach Berlin, die wir ihm im Winter und Lenz in Mailand und Rom erwiderten',

erinnert sich Magnus Hirschfeld.

Das letzte Mal habe er Wirz 1913 zwischen Weihnachten und Neujahr in der Siebenhügelstadt getroffen, [...]. 'Lebendig steht mir noch [...] unser letzter Spaziergang vor Augen. Wirz holte mich aus der vatikanischen Gemäldegalerie ab. [...] Wir durchschritten die prunkvollen Kunstbauten von Papst Julius II., dem urnischen Beschützer Michelangelos. Wirz erzählte mir von der grossen Verbreitung, die unter seinem Pontifikat (1503-1513) die Homosexualität bei Kardinälen und Bischöfen hatte.3 Dann kamen wir an der düsteren Behausung vorbei, in welcher der grosse Urning Michelangelo selbst den Schluss seines Lebens verbrachte. [...] Wir gingen weiter, vorüber an der Engelsburg, der gigantischen Grabstätte, die der Reisekaiser Hadrianus, einer der Besten, die das römische Reich besass, für sich und seine Nachfolger errichtet hatte, bald nachdem sein Liebling Antinous für ihn am Nil gestorben war.'

Später seien sie zum Blumenmarkt Campo di Fiori gelangt, auf dem am 17. Februar 1600 Giordano Bruno nach siebenjähriger Gefangenschaft verbrannt wurde. In der Urteilsverkündung hätten auch seine gleichgeschlechtlichen Neigungen Erwähnung gefunden. Wenige Strassen weiter seien er und Wirz dann vor der Trajanssäule gestanden. Hirschfeld erwähnt die Überlieferung, wonach dem Trajan auf seinen Feldzügen ein Pädagogium schöner Jünglinge das Geleite gab, die er tags und nachts in seine Arme rief. [...]

'Zieht sich für den Kenner nicht der Uranismus wie ein roter Faden durch die Weltgeschichte?' habe Wirz zum Schluss sinniert."

Aus dem Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Jahrgang 162, zitiert Frischknecht:

"Ferner haben wir den Verlust unseres Obmanns Prof. Dr. philos. Caspar Wirz in Rom zu beklagen, dessen Schrift: Der Uranier vor Kirche und Schrift durch die Vereinigung tiefer Religiosität mit der Überzeugung, dass die Uranierverfolgung jeder wahren Religiosität widerspreche, schon vielen ein grosser Trost gewesen ist. Über sein Ende, von dem wir erst mehrere Monate nachher Kenntnis erhielten, konnten wir Einzelheiten noch nicht in Erfahrung bringen. [...] Der Friedhof bei der Cestius-Pyramide in Rom [...] ist heute ein beliebtes Ausflugsziel, vor allem deutschsprachiger Touristen. Wer weiss, vielleicht verirren sich ja nun ab und an auch geschichtlich Interessierte ans verwitterte Grab von Wirz. Es trägt die Inschrift

QUI RIPOSA
PROF. CASPAR WIRZ
DELEGATO ARCHIVI FEDERALI SVIZZERI
NATO A ZURIGO 1847
MORTO A ROMA IL 14 AGOSTO 1915"

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Ernst Ostertag, Juni 2006

Quellenverweise
1

Manfred Herzer und James Steakley: "Von einst bis jetzt", Verlag rosa Winkel, Berlin 1986.

2

Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen, Jahrgang 16, Verlag Max Spohr 1916, Seite 63.

Anmerkungen
3

Allerdings hatte Julius II. auch drei natürliche Töchter, deren eine er für seine Heiratspolitik einsetzte; seine Kriegs- und Sicherheitspolitik führte u.a. zur Gründung der Schweizergarde am 21. Januar 1506.