Erlittenes Unrecht

Wie J. R. Forster die Ungerechtigkeiten verkraftete und weiter lebte, weiter kämpfte

Das erlittene Unrecht aber, all die grausamen Vergehen an einem, der nie kriminell war, es gelang Forster nicht, sie zu vergessen, immer wieder stiegen seine Erinnerungen quälend hoch. Im unglücklichen König Ludwig II von Bayern (1845-1886) und dessen vermutlichem Freitod fand er einen verwandten Art- und Leidensgenossen: Mit der Schrift "König Ludwig II und J. R. Forster" versuchte er sich zu befreien und ruhig zu werden.

Seinen psychischen Gesundungsprozess schloss er 1890, 37-jährig, mit einer Wallfahrt ab:

Autobiografie, Seite 163

"Am 16. April begab ich mich nach München an das Grab meines so teuren geliebten geistigen Freundes, um dort einen Kranz niederzulegen. [...] Ach, ich hätte die Gitter über dem Grabesgewölbe gewaltsam entfernen mögen, um hinunter zu fallen und ewig dort zu bleiben bei ihm, meinem Gotte, denn einen andern kann ich nicht mehr lieben, mag an keinen anderen glauben. [...] Was dir begegnet, schwebte mir stets vor Augen. Und nun hätte ich mein Gelübde erfüllt und habe Ruhe."

Forster wäre aber nicht Forster gewesen, wenn er den guten Moment verpasst hätte, als die Eidgenössischen Räte 1893 eine Kommission zu Studien über ein einheitliches Strafgesetz ins Leben riefen. Es war ihm sofort klar, dass sich hier die erste echte Chance bot zu einer Abschaffung aller Verbote homosexueller Akte unter Erwachsenen.

Er sandte die damals neueste Publikation, das 1891 erschienene Werk des jungen Berliner Arztes Dr. Albert Moll (1862-1939) "Die Conträre Sexualempfindung", an das Justizdepartement in Bern und begründete sein Vorgehen:

Autobiografie, Seite 167

"[...] da in diesem Land ebenfalls eine grosse Zahl wirklicher Urninge (Zwischenstufen und solcher, die sich den Urningen hergeben, ist 'Legion', ohne zu übertreiben) argen und mannigfaltigen Verfolgungen ausgesetzt sind, namentlich durch die bestehenden Gesetze [...]. Ich selbst Urning, wurde von kantonalen und eidgenössischen Behörden s. Z. verfolgt, weil ich unerschrocken seit zirka 12 Jahren für meine Genossen eintrete und das, was im beiliegenden Buche enthalten, teilweise vor zirka 10 Jahren schon an kantonale und eidgenössische Behörden schrieb. Das Licht kommt nun von Deutschland, denn der Prophet gilt nicht in seinem Lande. Es soll mich herzlich freuen, so man in Sachen schnell handelt, namentlich inhaftierte Urninge der Freiheit zurückgibt."

Das schrieb Forster am 20. April 1893. Es dauerte noch ein halbes Jahrhundert, bis das Schweizerische Strafgesetz (StGB) am 1. Januar 1942 in Kraft treten konnte mit Freigabe für Erwachsene ab Schutzalter 20 - und ein volles Jahrhundert bis zur endgültigen Tilgung aller Sonderbestimmungen im StGB 1992.

Jakob Rudolf Forster starb 62-jährig am 8. Oktober 1926 in Zürich.

Ernst Ostertag, Januar 2004