Ausschaffung
Es ging aber nicht lange bis er wieder straffällig wurde. Am 24. April 1934 beschloss das Polizei- und Militärdepartement Luzern, diesem Tschechoslowaken die Niederlassungsbewilligung zu entziehen und ihn aus der Schweiz auszuweisen, begründet mit wiederholten Strafen wegen "groben unzüchtigen Handlungen mit Personen des gleichen Geschlechts", wie Arthurs Bruder später aussagte. Wichtiger war wohl die zweite Begründung, er sei "unstet" und werde "demnächst der öffentlichen Wohltätigkeit zur Last fallen". Bereits am Tag nach diesem Beschluss vollzog die Luzerner Polizei die Ausschaffung via Basel ins Deutsche Reich.
Nur wenige Wochen später kehrte Vogt beim österreichischen Lustenau im Rheintal in den Kanton St.Gallen zurück und arbeitete als Küchenbursche in Hotels, die er aber immer wieder wechselte, weil er wegen "Verletzung der Ausländervorschriften" verhaftet und in Zürich, Murten (FR), Uznach (SG) auch zu mehrtägigen Gefängnisstrafen verurteilt wurde. Vor dem Bezirksgericht See (Murten) erklärte er, dass er doch in der Schweiz aufgewachsen sei und seinen tschechoslowakischen Bürgerort nie gesehen habe, auch verstehe er die dortige Sprache nicht.
Max Lemmenmeier im St. Galler Tagblatt1:
"Nach einer weiteren Verurteilung wegen Betrugs in Bern internierte die Polizei den mittellosen Vogt am 21. Dezember 1936 in die Strafanstalt St.Jakob in St.Gallen. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement forderte nun die definitive Ausschaffung. Ein Gesuch der Eltern, vor der Ausreise noch drei Tage mit Arthur verbringen zu dürfen, lehnte der Chef der Eidgenössischen Fremdenpolizei, Heinrich Rothmund, ab, weil die arme Familie nicht in der Lage war, die Transportkosten von 46 Franken zu übernehmen. Die kantonale Strafanstalt lieferte den 25-Jährigen am 13. März [1937] um 10 Uhr beim Zentralposten [der St. Galler Polizei], Klosterhof 12, ab, versehen mit '1 Reisepass, 1 Heimatschein, diverse Zeugnisse (…), 140 tschechische Kronen (20 sFr), (…) eine Schachtel mit Kleider, 1 Schachtel mit Schuhe'. Wie Wachtmeister Thaler [weiter] rapportierte, konnte er 'hier noch mit seinen Angehörigen während 3 Stunden Abschied nehmen'. Um 15.09 Uhr wurde Vogt 'mit dem Bahnbillett St.Margrethen - Eger (tschechische Grenze) nach St. Margrethen abgeschoben'. Einen Tag später meldete das Polizeikommando die erfolgreiche Ausschaffung an das Departement in Bern."
Ausschaffungen von Mittellosen, Bettlern, "Vaganten" gehörten in den 30er Jahren zur Routine, ebenso wie das Zurückweisen von solchen Leuten an den Grenzen, wenn sie einreisen wollten. Gemäss Amtsbericht des Grenzkantons St.Gallen sollen 2796 Menschen aus diesen Gründen allein im Jahre 1937 ins Ausland abgeschoben und 1300 Unerwünschte nicht hereingelassen worden sein. Nach den Wirtschaftskrisen der späten 20er und frühen 30er Jahre gab es überall Stellenlose, Menschen, die auf der Suche nach einer Existenz quer durch die Länder zogen. Und es gab Flüchtlinge, politische, auch Zigeuner und Juden, die das nationalsozialistische Deutschland verliessen, freiwillig oder dazu gedrängt. Viele nahmen ihren Weg durch die Schweiz.
Ich (Jahrgang 1930) erinnere mich gut. Mehrmals pro Woche klopften Schweizer als Hausierer an die Türen, verkauften Schuhbändel, Seifen, Waschlappen, Bürsten etc. oder baten als Bettlerinnen um etwas Geld oder eine Mahlzeit. Meine Mutter hatte ein offenes Herz und ich fand es spannend, ihnen zuzuhören. Ausländer, also Flüchtlinge, kamen gelegentlich über eine kirchliche Organisation zu uns und blieben über Nacht. Sie hatten viel zu erzählen, besonders, wenn es Juden waren. Zogen Zigeuner in der Nähe durch lief ich ihnen nach; sie waren so faszinierend anders. Ängste vor "Überfremdung" beunruhigten viele und die Leute schimpften, verlangten nach Ordnung und striktem Durchgreifen. Die allgemeine Grundangst aber war die vor einem neuen grauenvollen Krieg, der uns "nicht mehr verschonen" würde. Diese Angst spürte ich auch bei den Eltern. Sie übertrug sich und ich hatte keine Worte dafür.
Ernst Ostertag, November 2023
Quellenverweise
- 1
Bericht von Max Lemmenmeier und Jörg Krummenacher im St.Galler Tagblatt, Samstag, 23.09.2023, S. 24.