Stolperstein - Grabstein - Erinnerung statt Schweigen

Opfer des Nazi-Terrors sind Opfer von Unrecht. Sie dürfen nicht im Schweigen und Vergessen verborgen bleiben. Stolpersteine können und sollen diese Opfer ins Tagesgeschehen hineinbringen. Wenn wir sie auf dem Pflaster vor oder neben uns sehen, stolpert unser Bewusstsein für einen Moment. Hallo, hier lebte ein Mensch, ein Opfer. Bleib kurz still und lies. Genau! Darum geht es.

Am 28. September 2023 konnte ein solcher Stein für Arthur Bernhard Vogt dort gesetzt werden, an der Kolosseumstrasse 21, wo er einmal in St.Gallen wohnte. Der Anlass war eine Gedenkfeier mit grosser Anteilnahme und Eindrücklichkeit. Ausführlich ist darüber berichtet worden1. Gut fünfzig Menschen von jung bis alt standen auf der Strasse vor dem Haus, auch eine Klasse der Kantonsschule und die Nichte des Opfers. Roland Richter, ehemaliger Präsident der Jüdischen Gemeinde St. Gallen und Koordinator der Gruppe Stolpersteine Ostschweiz hatte das Ganze organisiert. Er hielt die Begrüssung und auch das Schlusswort. Die Einführung übernahm der Journalist Jörg Krummenacher und aus dem Leben von Arthur Bernhard Vogt berichtete Max Lemmenmeier, beide Mitglieder der Gruppe Stolpersteine Ostschweiz. Dann folgte die Setzung des Steins durch Roland Richter und Monika Oberleitner-Vogt, Nichte von Arthur Vogt. Davor und danach spielte ein Musiker, Martin Amstutz, auf seinem Bandoneon, einem handorgelartigen Instrument, das im Erzgebirge erfunden, aber in Argentinien als Tangobegleitung beliebt und berühmt wurde. Nach persönlichen Erinnerungen von Frau Oberleitner und einem Grusswort der Stadträtin Sonja Lüthi folgte ein weiteres Bandoneon-Intermezzo. Vor den Schlussworten sang der Rabbiner Shlomo Tikochinski ein Psalmwort und schuf einen Moment der Besinnung.

Nach oben

Zum Bruder ihres Vaters, der also ihr Onkel war, dem der Stein galt, und zur ganzen Geschichte, von der sie lange nichts wusste und deren Entdeckung sie tief bewegte, dazu wollte die Nichte etwas sagen an diesem Ort und zu dieser Feierstunde, in deren Mittelpunkt ungewollt auch sie selber stand2:

"Der Anstoss für die Nachforschungen betreffend Arthur Vogt kam von meinem Cousin Michael Fuchs, einem Mitschüler von Nico Hofinger, Historiker in Innsbruck. Als Kind fand Michael das (…) Foto des jungen Arthur, [gekleidet] in seinen Wintermantel. Und das hatte seine Neugier geweckt. Man sagte Michael, das sei ein Cousin, der in München hingerichtet worden sei.

Mit nicht viel mehr als dieser Information sind [später] Nico Hofinger und Michael Fuchs ab 2018 [sozusagen] atemlos dem Lebensweg Arthur Vogts gefolgt - und nach einem halben Jahr suchte Nico Hofinger nach möglichen Verwandten in St.Gallen. Im Juni 2019 rief er mich an. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nichts von einem Onkel Arthur, denn diese Geschichte wurde in meiner Familie totgeschwiegen. Einige wenige Unterlagen und Fotos, die ich finden konnte, stellte ich Nico Hofinger zur Verfügung. Nico hat mir daraufhin sämtliche Protokolle und Unterlagen geschickt, die Arthur und meinen Vater Hermann Vogt betreffen. Es war unglaublich und erschütternd, was ich aus diesen Dokumenten erfahren musste.

Das Schicksal von Arthur lässt mich seither nicht mehr los und ich bin dankbar, dass mit diesem Stolperstein Arthur Vogt als Opfer des Nazi-Terrors, aber auch einer verklemmten Gesellschaft jener Zeit anerkannt wird. Der Stolperstein ist die Genugtuung, die wir ihm heute noch geben können."

In ihrem Grusswort sprach Frau Stadträtin Lüthi auch von fehlender Lebensqualität und Sicherheit in der Stadt St.Gallen und im ganzen Land zur damaligen Zeit, als Arthur Vogt aufwuchs. Sie sagte u.a.3:

"Für ihn gab es weder eine hohe Lebensqualität noch irgendeine Art von Sicherheit. Man wollte ihn nicht in St.Gallen, man wollte ihn auch nirgendwo sonst in der Schweiz. Man sah in ihm auch keinen Bewohner, sondern bloss eine Belastung - und schob ihn ab in ein fremdes Land und damit schliesslich in den sicheren Tod.
Schicksale wie dasjenige von Arthur Vogt lassen aufhorchen und machen tief betroffen. Und genau deshalb ist es umso wichtiger, dass sie an die Oberfläche geholt werden und auch dort bleiben - wie hier in Form dieses Stolpersteins. Er erinnert uns einerseits daran, dass auch unsere Vorfahren in der Zeit nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten und während des Zweiten Weltkrieges mit ihrer Politik des Bewahrens und Abschottens eine unrühmliche Rolle gespielt haben. Und er erinnert uns daran, wie fragil das gesellschaftliche Gefüge war und ist, und wie sehr wir alle konstant daran arbeiten müssen, dass in diesem Gefüge alle einen Platz haben - und zwar unabhängig von Geschlecht und geschlechtlicher Identität, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung (…)."

Ernst Ostertag, November 2023

Quellenverweise
1

- Nachruf von Roman Hertler in Saiten – Ostschweizer Kulturmagazin und Veranstaltungskalender, 28.09.2023.
- Medienmitteilung von Stolpersteine, Gruppe Ostschweiz, 28.09.2023.
- Stadt St.Gallen, Direktion Soziales und Sicherheit, Ablauf der Steinsetzung für Arthur Vogt.

2

Nachruf, Mails und Fotos von der Nichte des Opfers, Monika Oberleitner-Vogt

3

Text per Mail von Jörg Krummenacher, 6.10.2023