1907-2001

Hans Mayer

Das Bundesamt für Flüchtlinge hat im Dezember 2003 einen Band "Prominente Flüchtlinge im Schweizer Exil" herausgegeben. Darin enthalten ist ein Aufsatz der Autoren Thomas Egli und Hugo Schwaller mit dem Titel "Homosexuelle Flüchtlinge in der Schweiz - eine Spurensuche und ein Beispiel"1.  Das Beispiel betrifft den berühmten Gelehrten Hans Mayer.

Als der kommunistischen Partei nahestehender homosexueller Jude floh der Jurist Mayer 1934 von Köln über Frankreich in die Schweiz, um an der Universität Genf seine Laufbahn als Literaturwissenschafter mit Studien über Georg Büchner zu beginnen.

Homosexuelle Kontaktnahmen an öffentlichen Orten führten jedoch im März 1942 nach mehrmaligen Verwarnungen zu Internierungen von je sechs Monaten in den Strafanstalten Witzwil und Lenzburg. In Lenzburg

"habe ich in jenem Winter die Grundlage einer spezifisch literarischen und literaturwissenschaftlichen Bildung gelegt. Die Lenzburger Bibliothek war gut. Sie hielt sich an das klassische Repertoire, was mir eben recht kam."

So schrieb er in seinem zweibändigen Werk "Ein Deutscher auf Widerruf"2

Nach der Entlassung lebte Mayer in fünf verschiedenen Arbeitslagern für Flüchtlinge in der deutschsprachigen Schweiz. Am 8. November 1945 reiste er nach Deutschland zurück.

Die oben genannten Autoren berichten weiter:

"In den späten Phasen seines Schweizer Aufenthaltes enthält Mayers Flüchtlingsdossier (P 43505) vor allem Akten, die im Zusammenhang stehen mit seinem zunehmenden kulturellen Engagement. In Zürich gehörte er dem leitenden Ausschuss der Kulturgemeinschaft der Emigranten an."

Offenbar war er jedoch dem "Schweizerischen Vaterländischen Verband" ein Dorn im Auge, denn dieser wandte sich an das Eidgenössische Justiz- und Polizei-Departement, EJPD, um Vorträge Mayers und sein kulturelles Engagement zu unterbinden. Trotzdem

"wurde Mayer die Teilnahme grundsätzlich gestattet. [...] Einträge bezüglich seiner Homosexualität finden sich keine mehr. Insbesondere war es Mayers gelebte Homosexualität, die den Behörden Taktgefühl und Augenmass abverlangte. [...] In den Akten finden sich weder Verunglimpfungen noch verbale Ausrutscher5. Wohl wurden gegen Mayer wegen seines homosexuellen Verhaltens gewisse Massnahmen - Versetzungen, erhöhte Aufsicht - ergriffen, über den engen Rahmen dieser Massnahmen hinaus hatte er aber wegen seiner [...] Veranlagung als solcher keine Nachteile zu ertragen."

Dazu muss ergänzt werden, dass Mayer 1939 sein Büchner-Manuskript beendete. Geplant war eine Veröffentlichung im Europa Verlag von Emil Oprecht, was aber nicht zustande kam. Gedruckt erschien das Werk schliesslich 1946 unter dem Titel "Georg Büchner und seine Zeit" im Limes-Verlag, Wiesbaden. Die Rezension des Bandes "Prominente Flüchtlinge im Schweizer Exil" in der NZZ von Christoph Wehrli3  erwähnte auch den Abschnitt über den "marxistischen Literaturwissenschafter Hans Mayer". Er schloss mit den Worten:

"Die Behörden hätten Hans Mayer 'rechtlich korrekt und moralisch anständig' behandelt, finden die Autoren. Ihr Urteil wird nicht jeder teilen, auch wenn man die Normen jener Zeit als Massstab nimmt."

Mayers 100. Geburtstag (19. März 2007) feierte das Schwule Museum Berlin mit einer Ausstellung unter dem Titel: "Aussenseiter: Hans Mayer".

Zu diesem 19. März 2007 wurde auch sein umfangreiches Hauptwerk "Aussenseiter" neu aufgelegt. In einer Hommage schrieb Manfred Koch in der NZZ4

"Obwohl das Buch keine Zeile eines persönlichen Bekenntnisses enthält, gehörte schon bei seinem Erscheinen 1975 nicht viel Phantasie zu der Vermutung, der Verfasser handle hier auch von sich selbst, genauer: dem eigenen, doppelten Aussenseitertum als Jude und Homosexueller. [...] es ist das erste Buch, das konsequent der Frage nachgeht, wie - von Winckelmann bis Genet - die Erfahrungen dieses existenziellen Aussenseitertums sich in Literatur niederschlagen, zu Literatur werden."

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Ernst Ostertag, März 2007

Quellenverweise
1

Thomas Egli und Hugo Schwaller: Prominente Flüchtlinge im Schweizer Exil, Aufsatz "Homosexuelle Flüchtlinge in der Schweiz - eine Spurensuche und ein Beispiel", Seite 138 ff. Hrsg. Bundesamt für Flüchtlinge, 2003

2

Hans Mayer: Ein Deutscher auf Widerruf, Frankfurt 1982

3

Christoph Wehrli (C.W.): NZZ vom 28. Januar 2004, Seite 16, Rezension des Buches "Prominente Flüchtlinge im Schweizer Exil"

4

Manfred Koch: NZZ vom 19. März 2007, Seite 65. Rezension des Buches "Aussenseiter" über Hans Mayer

Anmerkungen
5

Hoffentlich, denn immerhin waren gleichgeschlechtliche Kontakte unter Erwachsenen ab Beginn 1942 gesetzlich erlaubt und sie wurden seit der Volksabstimmung über das neue Gesetz 1938 auch nicht mehr explizit geahndet!