Neugestaltung scheitert

... auch an Eugen Laubacher / Charles Welti

Carl Zibungs Bericht erinnerte an eine fast vergessene Begebenheit: Bei einem meiner letzten Besuche (Ernst Ostertag) in Eugen Laubacher / Charles Weltis Wohnung sprach er kurz von einer Fronde (er benutzte dieses französische Wort), die gewisse Abonnenten gegen Rolf, Rudolf und ihn selber angezettelt hätten, um den Kreis in verantwortungsloser Weise zu verändern. Er sei von einigen dieser Leute masslos enttäuscht. Natürlich nannte er keine Namen. Das Wort "Fronde" blieb mir haften, ich fand es unangepasst und übertrieben, auch wenn er sich offensichtlich verletzt fühlte.1

Heute nehme ich an, dass er nicht nur verletzt sein mochte, sondern sich in echter Gefahr sah. Sollte etwas "Verantwortungsloses" mit der Zeitschrift passieren und es käme zu einer polizeilichen Untersuchung, musste er damit rechnen, ebenfalls hineingezogen zu werden. Sein Doppelleben wäre extrem gefährdet. Als Direktor Eugen Laubacher war er eine einflussreiche und in Bank- und Wirtschaftskreisen bekannte und geschätzte Persönlichkeit. Ein Aufdecken dessen, was und wer "Charles Welti" war, wäre zu jener Zeit einer Zerstörung seiner Existenz gleichgekommen.

Wir erinnern uns: Mit dem 1942 eingeführten neuen StGB ist das Tabu geschaffen worden. Homosexuelle hatten unauffällig unter sich zu bleiben. Aufklärung der "aussenstehenden" Anderen blieb auf den allerengsten Lebensraum jedes Einzelnen beschränkt. Im KREIS war das wichtige Feld der Behauptung unserer Rechte und des offenen Sichtbarwerdens unserer Art allein den Wissenschaftern und Experten vorbehalten.

Im ersten Jahrzehnt nach 1942 war diese Grundhaltung sicher richtig. Aber ab 1952 wäre mehr Transparenz und Öffentlichkeit möglich und - von heute her gesehen - notwendig gewesen. Die McCarthy-Hysterie in den USA mit beispielsweise der Flucht von Charlie Chaplin in die Schweiz (1952) stiess bei vielen Schweizern auf dezidierte Ablehnung. Man hätte ein offenes Ohr gefunden mit gezielten Hinweisen des Kreis auf die ebenfalls Opfer McCarthys gewordenen US-Homosexuellen, ihrer Organisationen und Zeitschriften, zu denen der KREIS ja Beziehungen pflegte. Es wären Verbindungen zu journalistisch wie politisch einflussreichen Kreisen möglich gewesen.

Im KREIS gab es Abonnenten, die solche Verbindungen diskret herstellen und den Kern einer Lobby hätten bilden können. Das beweisen sowohl Zeitungskommentare und Leserbriefe nach den Razzien von 1960 und später wie auch die Tatsache, dass sie in renommierten Blättern abgedruckt wurden.

Karl Meier / Rolf war jedoch nicht der Mann, um Vorgehensweisen dieser Art zu stützen und koordinieren; er war weder Politiker noch Revolutionär. Auch wenn er viele Leute persönlich kannte, die er ansprechen und dazu hätte motivieren können, Konkretes in diese Richtung geschah nicht.

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Ernst Ostertag, Januar 2006

1

Fronde (frz. Schleuder) nannten sich die feudalen Kräfte des Hochadels und des Pariser Parlaments (Gerichtshof) bei ihrem Aufstand von 1648-1653 gegen den Anspruch der absoluten Machtfülle durch die Monarchie unter dem jungen Ludwig XIV und seinen Regenten, der Königsmutter Anna von Österreich und dem Kardinal Mazarin. Das Ende der Fronde, die den Goliath besiegen wollte, bedeutete den Sieg des Absolutismus in Frankreich.

Anmerkungen