Die Illusion

... "Feind liest mit!"

Heute wissen wir, was weder Karl Meier / Rolf noch sonst jemand im KREIS wusste: Dass zumindest einige Leute in der Zürcher Polizei über wesentlich mehr Informationen verfügten und dass der KREIS nur ein beschränkt geschlossenes Ghetto war.

Es fragt sich - wiederum von heute her gesehen - ob das Ghetto wirklich so fest zementiert sein musste, wie es Karl Meier / Rolf in einem Aufruf im März 1958 beschwor.1 Sicher spielte dabei seine begründete Angst vor einer plötzlichen Demaskierung mit. Der Aufruf zeigt exemplarisch die Igelhaltung und eignet sich darum als Einleitung zu den folgenden Kapiteln über die Repression ab 1960. Seine Überschrift hiess:

"Achtung! Feind liest mit!

Wir haben in den letzten Wochen verschiedentlich die Beobachtung gemacht, dass unsere Zeitschrift oft an Personen weitergegeben wird, die der gleichgeschlechtlichen Neigung nicht sachlich gegenüberstehen. [...] Unsere Zeitschrift ist seit vielen Jahren so geführt, dass sie sich ausschliesslich an Homoeroten wendet und nicht an eine allgemeine Leserschaft. [...] Eine Bresche in die Mauer von böswilliger Dummheit zu schlagen vermöchte nur das aufklärende Wort eines vorurteilslosen Wissenschafters, der heterosexuell wäre und den die Öffentlichkeit anhören müsste. [...]

Der KREIS hat in 25 Jahren eine Kameradschaft geschaffen, die unter sich sein will und die die Berührung ihrer Art mit der Öffentlichkeit ablehnt. Helft alle mit, dass es auch in Zukunft so bleiben möge!"

Dieser Aufruf wurde in 8/1960 wiederholt. Zu diesem Zeitpunkt war er von brennender Aktualität.

Ernst Ostertag, Oktober 2005; ergänzt Februar 2011

Weiterführende Links intern

mehr Informationen, Observation

Quellenverweise
1

Der Kreis, Nr. 3/1958, Umschlag.