Bereits im April 1958 versuchte Karl Meier / Rolf das Problem von "Strichjungen und Kriminalisierung" vertiefter zu betrachten, um anstelle von Repression näher an Lösungen heran zu kommen. Aus seinem Artikel "Der junge Mensch in unserer Zeit":¹

"Die grossen Skandalaffären der letzten Monate [...] rückten in der ganzen Schweizer-Presse immer wieder ein Thema in den Vordergrund: den Schutz der männlichen Jugend. Man sprach auch von der immer mehr um sich greifenden 'Seuche der Homosexualität', dass 'auch die wirtschaftliche Hochkonjunktur zu dieser misslichen Lage beigetragen habe', und dergleichen Unsinn mehr. Auf alle Fälle hat man für längere Zeit wieder einen Sündenbock gefunden, den vorzuschieben immer den Beifall der verständnislosen Menge auslösen wird. [...]

Neigt ein Junge zur homoerotischen Daseinsform, wird er in den wenigsten Fällen ein Strichjunge werden, sondern er wird im reiferen Gefährten nicht nur einen Geschlechtspartner, sondern den Freund suchen, mit dem die Gemeinsamkeit achtenswert und lebenswert bleibt. Und dass ein Funke dieser Einstellung sich manchmal selbst bis in die männliche Prostitution hinein erhält, betonte schon vor mehr als fünfzig Jahren der protestantische Theologe Caspar Wirz, Ehrenmitglied [Ehrendoktor] der Zürcher Universität, in seinem Werk 'Der Uranier vor Kirche und Schrift':

'Dass die Kirche zur Minderung der männlichen Prostitution [...] etwas getan habe, konnte ich bis jetzt noch nicht vernehmen, sonst würde ich mich einem solchen Werke unzweifelhaft angeschlossen haben. Dagegen kenne ich manche Uranier [Homoeroten], welche an männlichen Prostituierten zum Wohltäter wurden und kenne mehrere der letzteren, die zu den verwegensten und gefährlichsten ihrer traurigen Zunft gehören, aber gegen gewisse Homosexuelle nie etwas Schlimmes zu unternehmen sich herbeilassen würden, weil sie für dieselben eine wahre und aufrichtige Hochachtung empfinden. Ich wollte damit nur darauf aufmerksam machen, dass es dem Geiste Christi entsprechend wäre, wenn die evangelische Kirche nach dieser Richtung eine andere Tätigkeit als nur die des fleischlichen Eifers und Feuer-regnen-lassens entfalten würde.'

[...] Wer hilft dem Jugendlichen, wenn das Elternhaus versagt? Hier muss eine Brücke gefunden werden, welche den Bogen über Gestern und Morgen spannt. Dass auch der verantwortungsbewusste Homoerot [...] Bausteine dazu beitragen kann, wird jedem klar, der das Leben ohne Scheuklappen sieht.

'Du sollst durch deinen Sexualtrieb, durch seine Ausstrahlungen in deine Seele, vor allem durch alle deine sexuellen Taten weder den Einzelnen, noch vor allem die Menschheit schädigen, sondern den Wert beider nach Kräften erhöhen',

schrieb 1906 Prof. Aug. Forel. Braucht der Verantwortungsvolle [...] ein anderes Gesetz? Ich glaube kaum."