1959

Prozess: Kronzeuge

... wird verleumdet

Der Abonnent "Karl", der zur raschen Verhaftung des Mörders entscheidend beigetragen hatte, berichtete im KREIS über seine Einvernahmen bei der Polizei und später auch über die Erfahrungen, die er während des Prozesses machte. Dort hätten gewisse Presseleute ihn, den Kronzeugen bedrängt und beschimpft. Dabei hätten sie Bösartiges gesagt, wie:

Er sei auch einer von denen, die dubiose Orte des Homo-Milieus nach Strichern absuche. Er wäre sonst kaum um diese späte Nachtzeit dort unterwegs gewesen, wo er Rusterholz und Rinaldi habe beobachten können. Er gehöre doch zur gleichen Sorte wie Rusterholz und habe nur aus Eifersucht ausgesagt, weil der Stricher mit jenem gegangen sei.

Diese Anwürfe hätten viele Leute im Gericht gehört, doch niemand sei eingeschritten. Und genau das habe ihn am meisten erbittert. Sein Fazit war:

Wenn wieder ein Mord passiert und einer von euch weiss etwas, dann schweigt und meldet euch nirgendwo! Eine Erfahrung wie die meine soll keiner mehr machen.

Karl Meier / Rolf schrieb dazu:1

"Wenn man einem Kameraden, der mit seinen präzisen Angaben zur Entdeckung des Mörders führen konnte, nachher in der Tagespresse vorwirft, er habe nur aus 'Eifersucht' die Mitteilungen gemacht - wer wagt da noch, zu seiner Veranlagung zu stehen, wenn man ihm nachher in der Öffentlichkeit eine derartige Quittung präsentiert? Die Presse wird lernen müssen, sachlich zu berichten - oder sie erweist der ohnehin schweren Aufklärungsarbeit der Behörde den schlechtesten Dienst."

Zum Verlauf des Prozesses veröffentlichte Die Tat einen Leserbrief:2

"Der gegenwärtige Prozess Rinaldi scheint mehr und mehr zur festen Stütze jener neueren Theorie zu werden, die nicht den Mörder, sondern das Opfer als schuldig erklärt und durch die Aktualisierung bestimmter Ressentiments gegen ein bestimmtes Milieu 'Belastungsbeweise' gegen den Ermordeten zusammenzutragen sucht. [...] Es ist doch zumindest unfair, wenn mitten im Prozessverfahren eine einseitige Stellungnahme bezogen wird mit der Begründung, das Opfer habe ohnehin dem homosexuellen Milieu angehört und verdiene sozusagen keinen Rechtsschutz. [...]"

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Ernst Ostertag, September 2005

Quellenverweise
1

Der Kreis, Nr. 5/1959, Seite 9

2

Die Tat, 28. März 1959, Seite 20, Leserbrief. Zitiert im Kreis, Nr. 5/1959, Seite 4