1967
Mordfall 1967
Ein Jahrzehnt nach den beiden Mordfällen wird noch immer das Opfer verteufelt
Am 9. Oktober 1967 fand die Polizei den erschlagenen 31jährigen Primarlehrer Werner Seifert in seiner Wohnung im 17stöckigen Zürcher "Lochergut". An den Reaktionen auf diesen Mordfall lässt sich die allgemeine Befindlichkeit nach 9 Jahren Repression gegen Homosexuelle ablesen. Zudem war hier erstmals ein Beamter das Opfer.
Der Berner Historiker Erasmus Walser hat sich in einem Vortrag vom 31. März 2004 vor der schwul-lesbischen Unigruppe Bern unter anderem zu diesem Mord geäussert:1
"Wie der Lebenslauf eines bislang unbescholtenen Lehrers in der öffentlichen Verachtung endete.
[...] Hier interessiert, wie Die Tat und die Behörden Schritt um Schritt einen [...] jungen Mann zum fahrlässigen Leichtgewicht und schwulen Lebemann aus dem Männermilieu umstilisierten: Der an sich unauffällige Junglehrer war 1956 in St. Gallen patentiert worden, war 7 Jahre an der Auslandschweizerschule in Santiago de Chile tätig gewesen und 1967 in Zürich gewählt worden.
'In den Polizeiakten war über Werner Seifert nichts Ungünstiges bekannt, insbesondere war er in der Registratur [dem Homo-Register] nicht als Homosexueller vermerkt. Aufgrund der Literatur und der Plattensammlung [...] musste man annehmen, dass der Ermordete ein grosser Musikfreund war'
schrieb die Neue Zürcher Zeitung, aber Die Tat vom 11. Oktober 1967 zitierte den Untersuchungsrichter, 'wonach feststeht', dass das Opfer 'häufig Besuch von Männern erhielt, die den Eindruck von Homosexuellen machten' und 'dass er in homosexuellen Kreisen verkehrte', was nachträglich mit einer Bar in der Nachbarschaft belegt wurde. Der befragte BGB-Schulstadtrat [BGB: Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei, heute SVP] Jakob Baur erklärte,
'die Behörden hätten keine Ahnung von den homosexuellen Neigungen des ermordeten Lehrers Seifert' gehabt.
'Es seien diesbezüglich keine Klagen eingegangen [...] Schulbehörden würden sofort eingreifen, wenn sie nur die leiseste Spur entdecken, dass ein Lehrer in sittlicher Hinsicht nicht ganz einwandfrei sei. Beobachtungen über homosexuelle Neigungen würden sofort der Polizei gemeldet, die dann die nötigen Abklärungen vornehme. Wenn aber nichts passiert und sich ein Lehrer nicht gegen das Strafgesetzbuch vergangen hat, bestehe von der Schule aus keine Möglichkeit, gegen Lehrer vorzugehen. Wenn im Falle Seifert die homosexuellen Neigungen vorher bekannt gewesen wären, hätte man ihn zweifellos nicht zur Wahl vorgeschlagen.'
Die Tat titelte tags darauf 'Wieder haben wir einen Mord im Männermilieu' und lieferte ein Argument nach, Seifert 'habe leidenschaftlich jungen Männern nachgejagt' und die zahlreichen Besuche junger Männer vor den Hausbewohnern damit kaschiert, er sei 'Student', nicht wie in Wirklichkeit Lehrer."
Der Kreis reagierte nicht mehr auf derartige Ereignisse und unfaire Äusserungen seitens von Behörden und Presse. Er hätte es gemäss seines langjährigen Engagements zweifellos getan. Aber er war am Ende. Im Dezember 1967 erschien sein letztes Heft. Auch er war ein Opfer des Unverstandes, der Verleumdung und der Repression gegen alles geworden, was mit Begriffen wie "Die Homosexuellen" in Verbindung stand. Die Gesellschaft war kalt, starr und "sauber" geworden… Der grosse Aufbruch nach 1968 war überfällig.
Ernst Ostertag, September 2005
Quellenverweise
- 1
Erasmus Walser: Spektakuläre Mordfälle an Schwulen in der deutschen Schweiz 1950-1980er Jahre, Vortragsmanuskript