1963

Interview Psychiatrie: Dr. Hans Kind

... Leiter der Psychiatrischen Universitäts-Polyklinik Zürich

Der dritte Teil der Interview-Serie "Zürich und das 'Dritte Geschlecht' " in der Zürcher Woche erschien am 27. September:

" [...] Als Abschluss unserer Serie veröffentlichen wir heute ein Gespräch mit dem leitenden Arzt der Psychiatrischen Universitäts-Polyklinik, PD Dr. med. Hans Kind, Zürich."

Aus dem Interview mit dem Psychiater Dr. Kind:

"[...] Frage: Ist die Homosexualität nach Auffassung der heutigen Psychiatrie ein angeborenes Phänomen oder wird sie erworben?

Dr. Kind: [...] Jeder Mensch bringt seine Anlage mit; aber mit seiner angeborenen Reaktionsweise bestimmt er gleichzeitig auch weitgehend das Verhalten seiner Umgebung. [...] Beim weitaus grössten Teil der Homosexuellen [...] kann man von einer anlagemässigen oder konstitutionellen Homosexualität sprechen. [...] Meiner Ansicht nach unbewiesen ist die viel gehörte Behauptung, eine 'Verführung' zur Homosexualität spiele eine ausschlaggebende Rolle. [...]

Ist die Homosexualität als Krankheit zu betrachten?

Dr. Kind: Nein, die Homosexualität ist keine Krankheit im engeren Sinn des Wortes. Ich würde eher sagen, es handle sich um eine Charakter- oder Konstitutionsvariante, die nicht krankhaft, aber auch nicht der Norm entsprechend ist. Medizinisch gesehen handelt es sich um eine Fehlentwicklung, als der Zugang zum anderen Geschlecht nicht gefunden wird. Die meisten Homosexuellen leiden nicht unter der Homosexualität als solcher, sondern unter ihrer problematischen Stellung innerhalb der Gesellschaft. [...]

Ernst Ostertag, November 2005