1962

Re-Kriminalisierung

... Das Postulat Schmid-Ruedin

"Wieviel Verständnislosigkeit uns gegenüber auch in der Schweiz wach geworden ist und wieder geschürt wird, [...] ist uns Anfang Dezember durch die Motion Schmid-Ruedin im Nationalrat bewusst gemacht worden."

Was war geschehen? Mit diesem Anfangssatz informierte die Kreis-Redaktion ihre Leserschaft im Januar 1963. Dann zitierte sie aus dem Bericht eines Kameraden, der am 5. Dezember 1962 auf der Besuchertribüne im Nationalrat sass und mitstenographierte.1

Es ging um die Motion von Philipp Schmid-Ruedin (1889-1971), Zürich, der dem Rat vom Dezember 1925 bis Dezember 1963 angehörte, bis Ende 1941 als Mitglied der FP (später FDP) , dann der rechtsgerichteten Demokratischen Partei. Bei diesem Geschäft waren 64 Nationalräte anwesend, es dauerte nur 15 Minuten. Einige Sätze aus dem Bericht:

"Der Einbringer der Motion [...] gab zu Anfang bekannt: Nachdem sich zuerst die Wissenschaft und jetzt sogar die Kirche2 damit beschäftigt hätten, hätte das Problem der Homosexualität nun auch seinen Einzug in das Bundeshaus gehalten. [...] Er sei durch einen Staatsanwalt3 in Zürich gebeten worden, sich dieser Sache anzunehmen und die Motion einzureichen. [...] Er stelle jetzt die Forderung nach einer Gesamtbestrafung der Homosexualität, ähnlich, wie dies ja auch im Nachbarland Deutschland der Fall sei. Nach diesem Satz Beifall und Bravorufe [...].

Es müsse aufhören:

  • dass sich die Homosexuellen in dieser Ungeniertheit, wie sie jetzt in den grösseren Städten herrsche, breit machten;
  • es gebe immer wieder neue Skandale;
  • das Problem des Strichjungentums müsse angefasst werden, denn die männlichen Strichjungen wären zwar keine Homosexuellen, würden es aber später.

Mit nicht zu leichten Strafen könne die einfache Homosexualität stark eingedämmt werden. Er habe sich nun entschlossen, die Motion in ein Postulat umzuändern."

Das Postulat wurde mit 57 gegen 7 Stimmen angenommen und überwiesen. Offenbar ist es dann in einer Schublade verschwunden und blieb dort liegen. Dieser Vorstoss und die Abstimmung war ein deutliches Zeichen, dass es eine kleine Schar von dezidierten, aktiven und gut organisierten Gegnern der liberalen eidgenössischen Strafbestimmungen gab. Letztlich sind sie aber nicht durchgedrungen.

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Ernst Ostertag, November 2005

Quellenverweise
1

Der Kreis, Nr. 1/1963, Seite 3 ff.

Anmerkungen
2

Mit "Kirche" war vermutlich Theodor Bovet's Aufsatz "Gedanken zur Homophilie" in Reformierte Schweiz gemeint.

3

Mit "Staatswanwalt" war Dr. Robert Frick gemeint.